: Jeder Ton ein Gebet
■ Die »Swans« gastieren heute in Huxley's Neuer Welt
Michael Gira, dem Koloß an der akustischen Gitarre, droht beim Singen sein fleischiges Gesicht zu zerrinnen; der Bassist ist ein Hänfling, der schwer an der Last seines Instruments zu tragen hat. Und Jarboe, die unberührbare Frau an Giras Seite, hält auch nicht, was sie auf den Covern verspricht. Ein Konzert der Swans ist keine Augenweide. Die Band steht, in ihre Lieder versunken, regungslos auf der Bühne — es passiert rein gar nichts.
Die Zeit der Exzesse haben die Swans weit hinter sich gelassen. Als sein Teint noch kindliche Züge aufwies, durfte man auf Giras Ausbrüche gespannt sein. Für die war er berühmt, und die entsprachen der Brachialgewalt der New Yorker Gruppe, die Anfang der Achtziger mit wenigen Akkorden und schweren Trommelschlägen inmitten postindustrieller Wirklichkeit archaische Zustände beschwörte. Damit ist es schon lange vorbei. Seit dem Eintritt Jarboes und der Bereicherung der Band um eine gospelgeschulte Stimme drängte sich allmählich eine Haltung in den Vordergrund, die fast panentheistisch genannt werden kann. Gira glaubte, den modernen Blues entdeckt zu haben. Auf The burning world (1989) versuchten die Swans in fließenden Songs und mit melancholischen Gitarrenklängen einen Rest Kindheit zu retten und ahnten doch schon deren Verlust. Natur und Universum dienten als Metaphern für die Unrast der Seelen und deren Suche nach Erlösung.
Musikalisch hat sich seitdem nicht viel geändert. Nur ihren Vorstellungen etwas näher gekommen sind die Swans. Auf Love of Life, ihrem neuen Album, stellen sie nun den tatsächlichen Verlust der Kindheit fest. Als ob diese Erkenntnis die Swans beschwichtigt hätte, ist die Unruhe gänzlich verschwunden. Die Stücke sind noch besinnlicher geworden. Für die amerikanische Realität haben die Swans nicht mehr als ein resigniertes Achselzucken übrig — »The president's mouth is a whore, when there's murder the audience roars«. Folglich drehen die Swans der Zivilisation den Rücken und suchen ihr Heil jetzt endgültig in der Wildnis, in Felsklüften, Sonnenuntergängen, auf der »anderen Seite der Welt«.
Soviel Sehnsucht nach Erlösung wäre bei dem gebetsartigen Vortrag schwer zu ertragen, wenn ein Swans- Konzert nicht durch das Warten auf Jarboes Einsatz zum Nervenkitzel würde. Die tiefe Stimme der Keyboarderin ist von einer nahezu sakralen Intensität, die schlicht beglückend wirkt. Mehr als zwei, drei solcher Lieder wird es jedoch heute abend wahrscheinlich wieder nicht geben. Wem das nicht reicht, dem bleibt noch Skin, das Exklusiv-Projekt von Jarboe und Gira, auf dessen Platten die hohlwangige Madonna ungehemmt ihr Pathos verbreiten kann. Claudia Wahjudi
Um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Vorband: Once upon a Time
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