: Griffig und postmodern. Irgendwie
■ Macher-Kultur im »Tränenpalast«: Das mehrtägige Kulturspektakel »Faces 'n Brains«
Was für die Stadt der »Erlebnisraum«, für den Gaststättenbereich die »Erlebnisgastronomie«, ist für die Kultur der »Event«. Im Ereignisraum »Tränenpalast«, dem Ex-Übergang zwischen Ost und West, reihen sich die »Events« aneinander. Unter dem Titel Faces 'n Brains lassen sechs DJs, neun Performances, acht Schriftsteller und eine Kunstausstellung »so ziemlich alles« geschehen, »was die Leute aufregt«. Faces 'n Brains ist auf der Höhe der Zeit. »Dahinter«, so heißt es in der Pressemappe, »steht ein Mammutprogramm und eine zukunftsweisende Philosophie: »Eyes divided, Brain parted, Consciousness fragmented.« Das klingt erst mal griffig und (post)modern. Irgendwie. Wie diese Philosophie konkreter aussehen würde, kann der »Macher« der Ereignisse, Cornelius Perino, weniger genau erklären: »Das ist die Philosophie des Divisionismus. Das heißt erst mal, ich habe meine zwei Hälften, die auch gegeneinander kämpfen, und deswegen gibt es eben eine neue Philosophie, wo ich sage: Es harmonisiert eigentlich nichts im Kopf zusammen. Es ist alles gegeneinander.«
Zwei Monate hat die Vorbereitung der Ereignisse gekostet. Die »Hopf, Hopf, Schmitz & Schmitz«- Agentur, zuständig für »Kommunikation und Eventmarketing« versprach ihm zunächst ein hundertprozentiges Sponsoring. Doch »West«, erzählt der Macher, der sich selber einen »Bild- und Objekte-Konstrukteur« nennt, macht zur Zeit kein Geld locker. Für »Philip Morris« war's zu spät, und »jetzt finanzier' ich eben alles selber«. Die Künstler wählte er kundig »nach gewissen Kriterien« aus. »Ich wollte so Untergrundszene- Avantgarde haben.« Was er denn darunter verstehe und ob es nicht einen Unterschied zwischen Ost- und West-Untergrund gebe? Für den Künstler »eigentlich nicht«. »Untergrund ist für mich der Begriff von Leuten, die süchtig sind, ihre Kunst zu machen, egal wie die Reaktionen ihres Publikums sind. Also: Unbequeme Kunst, die auch 'ne Aussage hat.« Wahrscheinlich geht es wieder mal gegen satte Spießer.
Die ersten zwei Tage des Spektakels waren besuchermäßig eher ein Flop. Kaum mehr als hundert Besucher fanden den Weg in die mit Perinos bunt leuchtenden Objekten ausgestaltete Halle an der Friedrichstraße. »Liebe ist Gehirn durch Herz« steht — in 'Bild‘-Zeitungsmanier — auf einer der Plastiken. Die anderen phosphoreszieren still vor sich hin, lustig und dekorativ; eine Mischung zwischen Penck und MTV. Auch der jeweilige Preis der Objekte leuchtet im Dunkeln.
Nachdem am Samstag unter anderem die Aktionskünstlerin Panterra kaum bekleidet vielerlei seltsame Dinge aufgeführt hatte — und dafür auch schick-nackig in der 'BZ‘ abgebildet wurde —, kamen am Sonntag als vorläufiger Höhepunkt die Schriftsteller zu Wort. Kaum einer von ihnen mochte auf multimediale Begleitung verzichten. Zwölf Fernseher begleiteten das Gelesene mehr oder weniger passend.
Da ging ein Mann (Rolf Persch) mit Männerlyrik, Brille und vielen Zetteln in seinen Büchern, lautmalerisch und stimmtechnisch sehr ran; ein anderer (der Ex-Reich-Ranicki- Protegé Thorsten Becker) beschwerte sich trotz Sonnenbrille sehr über die Unaufmerksamkeit der Zuhörer, ein Pound- und T.S.-Eliot- Verehrer (Saint James, so nennt er sich) beschwor, untermalt von Seevögelgekreische, endlos lang und schön den Ozean.
Einer ist »sein eigener Mythos« und »Echtheitsschreiber mit postnormalem Tollsiegel«, wie es im Programm heißt, ein andrer erinnert sich öffentlich an Andreas Baader. Am Rande bemalt Bert Papenfuß-Gorek ein Tischchen und macht dann halb ironisch, freundlich grinsend, ehrlich und schön viel einfachen Krach mit seiner Band. Zwischendurch erwähnt er, daß »die Verbrennung der Biermannprodukte« »kein Renner« gewesen sei. Im Café »Kiryl« hatte ihm das letztens noch den kollegialen Tadel des ehemaligen Herausgebers der ehemaligen DDR-Untergrundzeitschrift 'Schaden‘, Gerd Neumann, eingebracht; im Tränenpalast ging das eher unter.
»November — Quatsch, aber super«, heißt es irgendwann. Das war super, weil die Kombination so schön gegeneinanderstieß und knirschte. Und wär's voller gewesen, hätte der Klasse-Gitarrist der Band hier seine Gitarre zerhauen. Es war nicht voller. So hielt er ein in schöner Geste. Heiter lachte zuweilen das Publikum, geschwind verschwanden ein paar Tuborgs zwischen den Lippen, doch eigentlich funktionierte nichts, und die Leute saßen getrennt voneinander und den Wörtern und Sachen, die auf der Bühne geschahen, auf Biergartenbänken im Schatten der Bühne herum. Es fehlte die Intimität, die in den östlichen Literaturcafés, im »Kiryl«, im »Wolkenbügel« oder anderswo fast jede Lesung interessant macht, weil sich dort in der Enge die Zuhörer aneinanderdrängen, sitzend einander besehen können und grusligen Gerüchten beeindruckt Glauben schenken. Letztens hieß es z.B. im »Kiryl« ein paar Stunden lang, daß Sascha Anderson sich umgebracht hätte, und das schien verbürgt, bis er dann kam und deshalb auch sehr freundlich begrüßt wurde.
Vielleicht liegt die Friedrichstraße schon im Westen; ins »Kiryl« zumindest waren vor kurzem noch, allein um Papenfuß-Gorek zu sehen, weit mehr als hundert Zuhörer gekommen; vielleicht liegt die Friedrichstaße aber auch zu sehr im Osten, und die Ostler waren enttäuscht, daß nur ein Ostler lesen durfte.
Nachdem einige schon gegangen waren, ließ einer dann doch noch den Abend wunderbar enden: Kiev Stingl kam mit schwarzer Gitarre und leuchtender Glatze, mit Anzug und großer Geste. In seinen Liedern und Gedichten geht es seit zwanzig Jahren um männliche Einsamkeiten, Sex, Frauen und andere Anachronismen. Das klingt erst mal langweilig, ist jedoch genial, weil seine Stimme inzwischen sehr verraucht bei Leonard Cohen angelangt ist, weil vorwitzig der Hamburger Akzent noch ein bißchen durchschimmert, weil Stingl einer der wenigen ist, die auf der Bühne nicht deplaziert wirken.
Alles, was er sagt und singt, versinkt in seltsamer Ironie. Und weil das vermutlich nicht beabsichtigt ist, funktioniert es. Begeistert stimmt man ihm zu, wenn er singt: »Schmeiß die Träume vor die Tür«, denn plötzlich ist das wahr. Zumindest ich liege lachend auf dem Boden, wenn es irgendwann heißt: »Votze / ruf' ich dir zum Trotze« und klatsche so doll ich kann, bis er wiederkommt.
Faces 'n Brains läuft bis Freitag. »Einen sehr exzentrischen Performance-Abend mit internationalen Performance-Künstlern, die sich alle im Avantgarde-Untergrundbereich bewegen«, gibt es heute ab 18 Uhr. »Dabei geht es um Sounds, es geht um Bewegungen, es wird ein Trapez aufgebaut; es geht um menschliche Gebilde, die plötzlich entstehen. Ich bin total gespannt«, meint der Veranstalter. Am Freitag endet alles mit einer großen Tekkno-Party mit DeeJays aus dem »Planet«. Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen