: Bundesbank: Waigel muß sparen!
■ Wenn die Kreditaufnahme weiter steigt, braucht der Bund bald alle Einnahmen für Zinszahlungen
Frankfurt/Main (ap/taz) — In einem dringenden Appell hat die Bundesbank Bund, Länder und Gemeinden dazu aufgerufen, die staatliche Kreditaufnahme in den kommenden Jahren schrittweise wieder abzubauen. Dazu müßten die Transferzahlungen von West- nach Ostdeutschland, die 1992 auf schätzungsweise 180 Milliarden Mark anwachsen würden, sukzessive reduziert werden. „Dringend geboten“ sei ferner, diese Mittel verstärkt in die Investitionsförderung und weniger als bisher in den Konsum fließen zu lassen, schrieben die Experten in ihrem gestern vorgelegten Monatsbericht.
Eine weitere Verschuldung würde „das Gewicht der Zinsausgaben in den Etats so stark wachsen lassen, daß der finanzpolitische Spielraum weitgehend verloren geht oder Zuflucht zu weiteren Steuererhöhungen“ genommen werden müßte, warnten die Frankfurter Währungshüter. Dies hätte schädliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaft insgesamt. Eine schrittweise Reduzierung der Neuverschuldung, vor allem durch eine Begrenzung der Ausgaben, sei daher dringend erforderlich. Für 1991 beziffert die Bundesbank die aus West- nach Ostdeutschland fließenden Staatsmittel auf etwa 140 Milliarden Mark. Der Abbau dieser Transferzahlungen nach Ostdeutschland sei um so eher möglich, je stärker der wirtschaftliche Wachstumsprozeß in den neuen Ländern in Gang komme. Gegenwärtig diene der größte Teil dieser Mittel der Finanzierung des Konsums der neuen BundesbürgerInnen; die Förderung wachstumsträchtiger Investitionen bleibe dahinter zurück. Zwar sei diese „konsumtive Ausrichtung“ zunächst wohl unvermeidlich gewesen, doch müsse in den folgenden Jahren „eine stärkere Konzentration auf investive Verwendungen“ mit belebenden Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland erfolgen.
Die Bundesbank hob hervor, daß die Summe der Finanztransfers nicht mit der Belastung der öffentlichen Haushalte in den alten Bundesländern durch die deutsche Vereinigung gleichzusetzen sei. Zum einen seien teilungsbedingte Kosten wie die Berlin- oder Zonenrandförderung entfallen, zum anderen habe die mit Transfers aus dem Westen finanzierte Ost-Nachfrage auch dem Wirtschaftswachstum in den alten Bundesländern gedient und somit deren Steuereinnahmen gemehrt. Der hohe Transferbedarf sei ausschlaggebend dafür gewesen, daß die 1989 auf knapp zehn Milliarden Mark reduzierten Defizite der öffentlichen Haushalte 1991 auf weit über 100 Milliarden Mark geschnellt seien.
Hauptträger der Transfers sei der Bund, der 1992 mit 110 Milliarden Mark rund 25Prozent seiner Ausgaben für die neuen Bundesländer tätigen werde; wichtige Ausgabenposten seien der soziale Bereich, die Aufwendungen für das Verkehrswesen sowie Leistungen an private Unternehmen. Die westdeutschen Länder und Gemeinden trügen bisher verhältnismäßig wenig zu den Finanztransfers bei; für 1991 könne ihr Beitrag auf acht Milliarden Mark, für 1992 auf zwölf Milliarden Mark geschätzt werden.
Von der Gesamtsumme der Ost- Transfers entfielen 1991 annähernd 60 Milliarden und 1992 rund 85 Milliarden Mark auf Hilfen an private Haushalte. „Damit finanzierten diese Leistungen 1991 ungefähr ein Drittel des privaten Verbrauchs in Ostdeutschland, und im laufenden Jahr dürfte dieser Anteil sogar auf rund zwei Fünftel zunehmen.“ Speziell für Investitionen würden für 1991 knapp 45 Milliarden und für 1992 rund 55 Milliarden Mark bereitgestellt.
Bauboom ist noch lange kein Aufschwung
Diese öffentlichen Mittel für Investitionen haben bislang in Ostdeutschland nicht zu einem selbsttragenden Aufschwung im verarbeitenden Gewerbe geführt; ungeachtet einer Zunahme der Bestellungen zum Jahresende 1991. Deutlich positiver allerdings, so die Bundesbank in ihrem Monatsbericht, verlief in Ost und West die Baukonjunktur.
Zwar sei die Nachfrage nach ostdeutschen Industrieerzeugnissen in den letzten Monaten 1991 gegenüber dem Sommerquartal „in der Grundtendenz gestiegen“, doch beruhe dies allein auf einer Ausweitung der Auslandsaufträge, die erheblich mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Inlandsbestellungen und Industrieerzeugung hätten im vierten Quartal 1991 in Ostdeutschland nach behelfsmäßiger Saisonbereinigung „auf dem in den Sommermonaten erreichten Stand stagniert“.
In Westdeutschland waren im Januar die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe zwar wesentlich höher als im Dezember; im aussagekräftigeren Zweimonatsvergleich ergibt sich für Dezember/Januar gegenüber Oktober/November jedoch ein Auftragsrückgang von durchschnittlich einem Prozent. Im Vergleich zum Jahreswechsel 1990/91 habe sich das Auftragsvolumen sogar um vier Prozent verringert.
Die Baukonjunktur dagegen gewinne in Ost und West immer mehr an Dynamik, berichtete die Bundesbank. In Ostdeutschland hätten in allen Sparten des Bauhauptgewerbes die Auftragseingänge Ende 1991 „weiter kräftig zugenommen“.
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