piwik no script img

Der Döner hat seine Unschuld verloren

■ Türkisches Wirtschaftsleben in Berlin (Teil 5): In Ost-Berlin besteht seit sechs Wochen der modernste Dönerbetrieb der Stadt/ Täglich 1,5 Tonnen produziert/ 20 Prozent gehen an ostdeutsche Imbisse/ Türkischer Politologe als Geschäftsführer

Prenzlauer Berg. Der Anblick ist alles andere als appetitlich: Im weißgekachelten Produktionsraum von »FinalTa« spießen Männer in ebenso weißen Kitteln ohne Unterlaß Fleischstücke auf Metallstangen, schneiden andere, wiederum schon fertige Fleischklumpen mit scharfen Messern zurecht und verpacken sie anschließend in Plastikfolie. Was da seit dem 21. Februar in einem Ostberliner Industriebau an der Prenzlauer Allee hergestellt wird, sind Döner, 1,5 Tonnen pro Tag.

Geht es nach den Planungen des Geschäftsführers Kemalettin Cansiz, werden es bald schon sieben bis acht Tonnen täglich sein. Auch die Anzahl der Beschäftigten — derzeit dreizehn — will er dann verdoppeln. Der 32jährige gibt sich selbstbewußt, wie es sich für einen Einsteiger gehört. Er ist der Prototyp des modernen türkischen Geschäftsmannes, der einen Teil seiner Ausbildung in der Bundesrepublik genossen hat.

Cansiz kam vor zwölf Jahren nach Deutschland, studierte an der Freien Universität Politik, schloß mit einer Diplom-Arbeit über die türkische Außenpolitik ab und erwarb sich vier Jahre lang betriebswirtschaftliche Kenntnisse als Unternehmensberater. Geholfen habe ihm das Studium, sagt er, »um schneller auf die Marktgesetze zu reagieren«. Nun leitet er seit zwei Monaten offiziell FinalTa.

»Moderne Betriebsstrukturen« und »modernes Management« — das sind die Zauberwörter, mit denen Cansiz die jüngste Dönerproduktionsstätte in Berlin an die Spitze bringen will. Kühl rechnet er seine Strategie vor: »Der Döner-Markt ist nicht transparent für den Verbraucher. Keiner weiß heutzutage, wer welchen Döner von welcher Firma ißt — in diese Marktlücke stoßen wir.«

Den Einwand, daß der Verbraucher vielleicht an der Massenfertigung Anstoß nehmen könnte, pariert Cansiz mit der Bermerkung, daß auch in der Dönerproduktion sich die Industrialisierung durchgesetzt habe: »Wir wollen standardisierte Qualitätsware auf den Markt bringen.«

Bundesweite Normen für den Döner

Diese Qualität ist seit dem 30. Oktober vergangenen Jahres sogar bundesweit festgeschrieben. Die Veterinärbeamten der Länder übernahmen die »Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis ‘Döner Kebab‚« aus dem Jahre 1989. Darin wird penibel festgehalten, woraus ein Döner mindestens zu bestehen hat: höchsten sechzig Prozent Hackfleisch. Verboten sind unter anderem Phosphate, Citrate, Stärke oder stärkehaltige Bindemittel.

In strenger Anlehnung an diese deutsche Bürokratennorm will nun FinalTa den ostdeutschen Markt mit Döner erobern. Der Anteil der Lieferungen in den Osten beläuft sich gegenwärtig noch auf rund zwanzig Prozent, soll aber nach dem Willen von Cansiz möglichst bald fünfzig Prozent betragen. Hauptabnehmer sind hier — mangels türkischer Kunden — ostdeutsche Imbißinhaber. »Der Markt für den Döner ist im Osten noch lange nicht so festgefahren wie im Westen«, glaubt er.

In West-Berlin hingegen ist die Konkurrenz unter den industriellen Dönerherstellern gnadenlos. An die zwanzig Betriebe, so schätzt Cansiz, seien derzeit allein in Berlin dabei, sich mit Dumpingpreisen zu bekämpfen.

Investitionsmöglichkeiten günstiger im Osten

Deshalb blickt der Betrieb auch über den Rand der Stadt hinaus. Eine Karte der Bundesrepublik verzeichnet generalstabsmäßig die Kunden, deren Standorte mit bunten Nadeln markiert werden. Rund eine Tonne Döner werden schon jetzt pro Woche auch nach Westdeutschland gefahren. Der Standort Ost-Berlin wurde aus zwei Gründen gewählt. Wegen der Fördermittel, die für Investitionen im Osten vergeben werden, und weil auf dem ostdeutschen Markt mit siebzehn Millionen potentiellen Döner- Hungrigen ein Geschäft zu machen ist. Für zwei Millionen Mark wurden die sechshundert Quadratmeter Nutzfläche in dem Industriegebäude an der Prenzlauer Allee aus der Jahrhundertwende renoviert.

Für eine »schwierige, aber gewaltige Herausforderung« hält Cansiz sein Vorhaben, den Familienbetrieb an eine moderne Betriebspolitik anzupassen. Der Eigentümer Ibrahim Tasyumruk, der zugleich auch einen Fleischgroßhandel und ein Restaurant im Zentrum der Stadt besitzt, beschäftigt hier vier Familienmitglieder. Cansiz will die Familienpolitik, die in der überwiegenden Zahl türkischer Kleinbetriebe üblich ist, auch bei FinalTa keineswegs gänzlich abschaffen. Eine Art Arbeitsteilung stellt er sich vor: »Nach innen gelten weiterhin familiäre Beziehungen, nach außen hin allerdings moderne Marketingstrategien.«

Cansiz ist optmistisch, den Betrieb auf Dauer im hart umkämpften Döner-Markt Berlins plazieren zu können. Beim Abschied hört man einen kurzen Augenblick ganz deutlich den Diplom-Politologen aus dem selbstbewußten Geschäftsmann heraus: »Nach dem Verkauf der Arbeitskraft gehen die Türken jetzt auch mit eigenen Ideen voran.« Severin Weiland

Die Serie wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen