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Italiens Blamage-Spezialisten

Gescheiterte Perrier-Fiat-Fusion zeigt: Bei feindlichen Übernahmen muß man auch rechnen können  ■ Aus Rom Werner Raith

Beim Fiat-Konzern in Turin, stolzestes Flaggschiff europäischer Familienunternehmerschaft, ist derzeit eine Stimmung angesagt, an die sich selbst die hartgesottensten Vergangenheitsforscher und Konzernkritiker nur sehr selten erinnern: die Mischung aus ganz und gar unpiemontesischer Niedergeschlagenheit und mediterraner „Ach was solls“-Haltung. Weniger noble Beobachter nennen es, wie 'Il manifesto‘, schlichtweg „einen kräftig eingezogenen Schwanz“. Den unbestrittenen Wirtschaftsfürsten Italiens ist etwas passiert, das bislang bei ihnen niemand für möglich gehalten hätte — sie haben eine riesige Blamage eingefahren

und

dabei nicht einmal die Möglichkeit, es durch irgendwelche böse Sternen- oder Politkonstellationen zu rechtfertigen.

Es geht um die Übernahme der feinen französischen Mineralwasserfirma Perrier, an der ein ansehnliches Nahrungsmittel-Produzentennetz hängt. Deren Erwerb hätte der Fiat-Familie Agnelli den angesichts stagnierender Auto- und Waffenproduktion lang ersehnten Einstieg ins europäische Lebensmittelgeschäft und den Aufbau eines zukunftsträchtigeren weiteren Standbeines erlaubt: ein Einstieg, der den Agnellis mit inneritalienischen Übernahmen nicht möglich ist, weil der einzige dafür in Frage kommende Großkonzern — Ferruzzi — zu den traditionsreichen, alten Unternehmen des Landes gehört und die noblen Agnelli ihresgleichen niemals in offene Abhängigkeit bringen würden (als sie Ferrari übernahmen, geschah das so heimlich, daß erst nach dem Tode des alten Ferrari Fiat als Eigentümer bekannt wurde).

Darum hatten sich die Agnelli im Ausland umgesehen und zum ersten Mal in ihrer Geschichte etwas probiert, was andere Kollegen in Italien seit Jahren versuchen — wobei sie sich jedoch durchweg blaue Augen geholt haben: eine sogenannte feindliche Übernahme. Einen Erwerb also ohne Verhandlungen mit dem aktuellen Eigner oder Aktien-Mehrheitsführer. Meist geschieht derlei durch heimlichen Aufkauf einer solchen Zahl von Aktien, daß der Käufer entweder die gesamte Kontrolle übernehmen kann oder genügend Sperrminoritäten vorweist, um jede wichtige Entscheidung der Konzernspitze zu blockieren.

Fiat gedachte zunächst die notwendige Minderheitenbeteiligung mit einer Blitzaktion durch den Kauf eines großen Anteils von Aktien des Exor-Konzerns zu bewerkstelligen, der seinerseits Perrier kontrolliert. Was dann noch fehlte zur Gesamtübernahme, sollte durch eine sogenannte „Bestofferte“ eingefahren werden — das Angebot an alle Aktienbesitzer, ihre Anteilsscheine zu einem von Fiat garantierten, über dem aktuellen Tageskurs liegenden

Preis an den Turiner Konzern zu verkaufen. Auf diese Weise, so rechneten die Agnelli-Manager vor, sei man schon jetzt der Mehrheit sicher.

Pustekuchen. Nicht nur, daß die französische Börsenaufsicht sofort die Perrier-Exor-Titel vom Markt nahm, kaum hatten die Turiner Anfang Januar die Übernahme voreilig verkündet; nicht nur, daß der ebenfalls interessierte Schweizer Multi Nestlé ebenfalls sein Interesse und eine feine Offerte (allerdings in „freundlicher“ Annäherung) ankündigte. Nun hat auch noch das Handelsgericht in Paris entschieden: Der Verkauf der zur Kontrolle führenden Aktienpakete an Fiat ist null und nichtig. Grund: zu diesem Zeitpunkt sei auch das Einlaufen anderer, besserer Angebote für die seit einem Verunreinigungsskandal in Schieflage geratenen Wasserabfüller absehbar gewesen, man hätte mit dem Verkauf warten müssen.

Die Blamage ist perfekt — vorbei das hohe Ansehen des Hauses Agnelli, dem der 'Spiegel‘ noch im Herbst während der Auseinandersetzung Pirelli-Continental voriges Jahr stete Vorsicht und Zurückhaltung in derlei Dingen bescheinigt hatte. Wie Reifenhersteller Leopoldo Pirelli sich bei der vollmundigen „feindlichen Übernahme“ der deutschen Gummiwerke überhob und schließlich auch zu Hause den Chefsessel des Konzerns abgeben mußte, sitzen nun die Autobauer da und müssen nachrechnen, wieviel sie das Abenteuer am Ende wohl kosten wird.

Wieder einmal hat sich gezeigt, daß das in Japan und den USA alltägliche, aber im vornehmen Europa nur selten angewendete System feindlicher Übernahme vor allem zweierlei voraussetzt: erstens Rechenkünste und zweitens eine absolut wasserdichte Kenntnis der im betreffenden Ausland herrschenden Gesetze. Beides scheint aber bei italienischen Unternehmern nicht sonderlich ausgeprägt; sie stellen es immer wieder unter Beweis, seit 1988

der Olivetti-Eigner Carlo De

Benedetti den ersten

„Überfall“ im

Ausland

unternahm. Mit überheblicher Bescheidenheit trat er damals vor die Mikrofone, um mit knappen Worten die Übernahme der Brüsseler „Société génerale“ nicht etwa anzukündigen, sondern „zu bestätigen“. Der Konzern, der mehr als ein Drittel der belgischen Wirtschaft kontrolliert, sollte „zum Herzstück des ersten europa-umspannenden Trusts werden“. Beim Nachzählen stellte sich heraus, daß dem Computer-Hersteller De Benedetti noch mehr als fünf Prozent der Aktien fehlten — und als er seine „Best-Offerte“ lancierte, waren bereits genügend andere Helfer zur Stelle, die den Belgiern ihren Nationalstolz zu halten halfen — unter anderem übrigens die französische Finanzgesellschaft Suez, die nun auch im Verbund mit Nestlé die Fiat-Attacken abzuwehren hilft.

Vor allem aber belehrten die Gerichte in Brüssel wie nun auch in Paris die Angreifer, daß die meisten nationalen Aktien- und Wirtschaftsgesetze genügend Spielräume für eine im Zweifelsfall gegen Attacken gerichtete Entscheidung lassen; das, so scheint es, will den Italienern nicht in den Kopf.

Dabei könnten sie es schon zu Hause lernen. Vor einem Jahr lieferten sich Olivetti-Chef De Benedetti und der Medien-Mogul Silvio Berlusconi — der kurz zuvor den Versuch eines ebenfalls gewaltsamen Einstiegs ins französische Fernsehgeschäft über 'Le Cinq‘ hatte abbrechen müssen — eine monatelange erbitterte Schlacht. Es ging um den Besitz des Mondadori-Konzerns, der mit umgerechnet knapp drei Milliarden DM Umsatz zu den größten Buch- und Zeitungsverlagen Europas gehört. De Benedetti hatte das Unternehmen, in dem damals die wichtigsten Nachrichtenmagazine 'L'Espresso‘ und 'Panorama‘ sowie die angesehenste italienische Tageszeitung 'La Repubblica‘ erschienen, mit Hilfe einer Sperrminorität erworben. Dabei hatte er sich von der finanziell klammen Familie Mondadori die Option für ihr Paket zusichern lassen, um so auch die Gesamtkontrolle zu übernehmen. Doch dann verkauften die Mondadoris in einer

Nacht-

und

-Nebel-Aktion alles an Berlusconi.

De Benedetti verklagte die Mondadoris wegen Vertragsbruchs und suchte bei Gericht um Anullierung des Verkaufs nach.

Insgesamt vier Entscheidungen gab es — und jede lautete anders als die vorhergehende, weil die Gesetze unterschiedliche Auslegungen zulassen.

Am Ende einigten sich die Streithähne entnervt auf eine Teilung. Das Abenteuer hat beide umgerechnet mehrere hundert Millionen DM gekostet. Beide gerieten alsbald in schwere Liquiditätskrisen und wurden nur durch regierungsamtliches Wohlwollen wieder einigermaßen auf die Beine gestellt.

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