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HEUTE: „Lachende Not“ Die Musik im Anagramm

Die Vertonung avantgardistischer Texte hat Tradition. An die Anagramm-Gedichte Unica Zürns, dieser irritierenden und sprachversessenen Schriftstellerin, wagte sich bisher jedoch niemand. Jetzt aber dienten ihre rätselhaften Gedichte der Berliner Frauenband „Lachende Not“ als kompositorisches Sprungbrett.

Das Musikspektakel der „Lachenden Not“ beginnt mit elf Buchstaben. Die fünf Musikerinnen tragen sie auf Schildern vor die Bühne. Zu gleichbleibenden Bläsersätzen aus der Konserve wird das poetische Verfahren vorgeführt, durch das Anagramm-Gedichte entstehen: aus Unica Zuern wird, durch Vertauschung von Buchstaben, Azur in nuce (von Oskar Pastior erfunden).

Ganze Sätze werden werden zu neuem Sinn umgestellt. Zum Beispiel so:

Ich weiß nicht, wie man Liebe macht, / wie ich weiß, macht man die Liebe nicht. / Sie weint bei einem Wachslicht im Dach. / Ach, sie waechst im Lichten, im Winde bei / Nacht. Sie wacht im weichen Bilde, im Eis / des Niemals, im Bitten: wache wie ich. Ich / weiß, wie ich macht man die Liebe nicht.“

Die Musikerinnen haben versucht, Unica Zürns Anagramm- Verfahren beim Komponieren zu übernehmen. Sie beschränkten sich meist auf ein begrenztes Tonmaterial und ordneten es nach strengen Regeln zu immer neuen Konfigurationen.

Das Ergebnis ist verblüffend. Die harmonisch klingende, leise vorgetragene Vertonung des Anagramms „Ich streue das weiße Nichts“ für Tenor-Saxophon korrespondiert auf rätselhafte Weise mit den weichen Vokalen des Gedichts.

Andere Vertonungen halten sich hingegen nur an Assoziationen des Gelesenen. Die Texte werden geschrien, geflüstert, einfach aufgesagt und zum Publikum gehaucht. In einem stilistischen Potpourri aus Jazz- und Rock-Elementen, aus Polka- Rhythmen und einer abgewürgten, mit Geräuschgerümpel collagierten Callas-Arie erzeugen die Musikerinnen immer wieder neue Lesarten der rätselhaften Anagramme. Gabriele Mittag

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