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Bang, Israel und Levin

■ In der Weimarer Zeit haben jüdische Konfektionäre deutsche Mode berühmt gemacht. Das Zentrum der konfektionsindustrie befand sich am Hausvogteiplatz...

In der Weimarer Zeit haben jüdische Konfektionäre deutsche Mode berühmt gemacht. Das Zentrum der Konfektionsindustrie befand sich am Hausvogteiplatz. ANITA KUGLER hat in Geschichtsbüchern geblättert.

N

ur der Name erinnert noch an eine Zeit, in der die Mode diesen Platz europaweit berühmt machte. Heute wirkt der Hausvogteiplatz in Berlin-Mitte grau und öde: Büroklötze im Plattenbaustil, daneben Freiflächen mit verkümmerten Bäumen. Auf der Südseite, begrenzt durch die Jerusalemer Straße und Niederwallstraße, einige denkmalgeschützte Häuser, die Textilfirma Grotex und eine U-Bahn-Station. Noch wird das Areal von der Treuhand verwaltet, aber bald soll hier das „Modezentrum Hausvogteiplatz“ entstehen. Im Februar hat der „Koordinierungsausschuß für innerstädtische Investitionen (KOAI)“ zugestimmt, eine privat finanzierte Kommanditgesellschaft „Modezentrum Hausvogteiplatz“ zu gründen. Hinter diesem Namen steht ein Konsortium von zwei Firmengruppen: die deutsch-französische Gesellschaft für Finanzen und Immobilien in Europa (G. F. I. E.) sowie die Hamburger Firma Tanax GmbH, die die amerikanische Harel & Partner Incorporated mit Sitz in New York wahrnimmt. Bis Ende Juni dieses Jahres soll das Konsortium dem KOAI ein Konzept für die Nutzung und Wirtschaftlichkeit des Hausvogteiplatzes vorlegen. Stimmt der KOAI diesem Konzept zu, soll ein Bauwettbewerb ausgeschrieben werden.

Das Projekt scheint vielversprechend. Die Senatswirtschaftsverwaltung favorisiert die US-amerikanische Firmengruppe vor allem deshalb, weil dort jüdische Investoren vertreten sind und die Jewish Claims Conference auf einige Areale einen Rückerstattungsanspruch angemeldet hat. Außerdem wollen die Amerikaner 500 Millionen Mark investieren, eine Summe, die schon im letzten Sommer Dorothee Dubrau, Baustadträtin von Berlin-Mitte, ins Schwärmen geraten ließ: „Wir wollen dort ein Modezentrum etablieren, das an die Tradition der 20er und Anfang 30er Jahre anknüpft.“

Neue Sachlichkeit und klare Linienführung

Die 30er Jahre sind ein finsteres Kapitel in der Geschichte des Hausvogteiplatzes. Denn zwischen 1933 und 1938 zerstörten die Nationalsozialisten eine in hundert Jahren gewachsene und an dieser Stelle zentrierte Modebranche, weil sie angeblich „jüdisch“ war.

Tatsächlich war die Mode der Weimarer Zeit modern, elegant, der neuen Sachlichkeit verpflichtet, verzichtete auf Korsetts, Rüschen und Spitzen, bevorzugte eine klare Linienführung und war stilbildend selbst für die Haute Couture in Paris. Mode und Bekleidung unterlagen nicht mehr dem preußischen Zwang zur Uniformität, sondern wurden Ausdruck eines neuen, individuellen Lebensstils: „demokratisch“ und nicht „dramatisch“, wie der Flaneur Franz Hessel in seinen Berliner Impressionen 1929 schrieb.

Firmen wie Hermann Gerson, Gebrüder Manheimer, David Leib Levin oder Nathan Israel hatten schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen der seriellen Kleiderfertigung entwickelt und die Konfektionsindustrie zum wichtigsten Wirtschaftszweig Berlins gemacht. Häuser wie die von Brad & Hirschfeld & Co, Siegmund Braun, Cohnreich & Blumenthal, Loewinberg & Dannenberg, Hansen Bang, Norbert Jetschunka, Lewinsky & Mayer, Ludwig Lesser GmbH, Schädler & Flatow. Insgesamt gehörten 49 Prozent der Konfektionsindustrie jüdischen Besitzern. Sie verhalfen der Stadt zu internationalem Ansehen.

Jüdische Kaufhäuser werden boykottiert

Die Nationalsozialisten zerstörten diese Tradition radikal. Nach 1938 war keine dieser Firmen jemals wieder in Berlin vertreten, ihre Namen sind vergessen. Die Nazis nutzten die jüdische Präsenz in der Modebranche zur Wiederbelebung der alten antisemitischen Ressentiments von dem „Konfektionsjuden“ und dem „hosenverkaufenden Jüngling“. Die liberale Mode wurde als „undeutsch“ verteufelt, denn die deutsche Frau „will sich nicht ihrer schicken Kleider wegen umwerben lassen, sondern ihrer seelischen Eigenschaften willen“. Aber viel erfolgreicher als die Propaganda einer „arischen Mode“, der sogenannten „Nazi-fashion“, wirkten die Gesetze zur Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben.

Der Anfang vom Ende des „Berliner Chics“ war das Gesetz zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft und der Boykott von 1933. Am Hausvogteiplatz, in den nahegelegenen „Textilstraßen“, wie die Mohren-, Charlotten-, Jerusalemer- und Leipziger Straße, zogen die SA- Horden auf, bedrohten Angestellte, Lieferanten, Vertreter und die Kunden. Selbst große Konzerne, wie die Warenhauskette Hermann Tietz, brachten die Aprilboykotte an den Rand des Bankrotts, 14.000 Arbeitsplätze waren bedroht. Nach diesem offenen Terror trat ab 1934 die Phase einer schleichenden, halblegalen Verdrängung aus der Wirtschaft ein. Einfuhrstopps für Rohwaren, Kreditsperren, die Isolierung von den Zulieferbetrieben, die Auflösung des sogenannten „Verlagssystems“, das heißt, die für Berlin charakteristische Trennung von Produktion und Absatzgeschäft sowie das Verbot für Modepräsentationen trieben viele Konfektionäre ins Exil, vor allem nach England. Der Rest wurde „arisiert“.

Als willigstes Instrument des Reichswirtschaftsministeriums diente die „Arbeitsgemeinschaft Deutsch/Arischer Bekleidungsfabrikanten (ADEFA)“. Ihre Hauptaufgabe war es, gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer die Konfektionsindustrie zu „entjuden“. Eine der Zentralfiguren war dabei Herbert Tengelmann, Inhaber der heute noch in Berlin präsenten Bekleidungsfirma Leineweber. Der Berliner Historiker Uwe Westphal hat in einem Buch versucht, diese „Arisierung“ im Detail zu erforschen. Er stellte fest, daß die deutsche Textilindustrie noch heute nicht bereit ist, sich in die Bücher gucken zu lassen. Der Verband der Berliner Bekleidungsindustrie e.V. und der Damen-Oberbekleidungs-Verband mit Sitz in Köln lehnten es wegen angeblich nicht vorhandenen Materials ab, Westphals Recherchen zu unterstützen.

Ablösesummen werden unterschlagen

Bekannt und exemplarisch ist die „Arisierung“ des Modellunternehmens Hansen Bang, Hausvogteiplatz 8-9. Bang verkaufte seine Firma weit unter dem eigentlichen Wert für rund 57.000 Mark an den Textilhersteller Hermann Schwichtenberg und emigierte 1936 nach New York. Die Ablösesumme sollte Schwichtenberg in halbjährlichen Raten von 1937 bis 1941 überweisen. Von diesem Geld hat Bang vermutlich nie was gesehen. Schon 1938 wurde der Firmenwert nachträglich um 25.000 Mark reduziert, den Rest wollte Schwichtenberg wegen der „schlechten Geschäftslage“ bis 1943 gestundet haben. Aber schon im September 1942 schrieb der Profiteur an den Besitzer, daß das Vermögen des „Juden Bang“ nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Reich verfallen ist. Noch in den fünfziger Jahren gehörte Schwichtenberg zu den bekannten Modefirmen am Kurfürstendamm.

Nach dem gleichen Muster ergaunerte sich Bertram von Hobe die Modellfirma Jetschunka in der Mohrenstraße, Lucia Wagner die Firma Lesser am Hausvogteiplatz 11 und viele Unbekannte die großen Modehäuser drumherum. Auch die Firma Horn, mit exklusiver Damenmode am Kurfüstendamm präsent, hat eine „Arisierungsvergangenheit“. Sie „beerbte“ 1938 eines der traditionsreichsten Berliner Unternehmen, die Firma Hermann Gerson.

Das Schicksal des Modehauses N. Israel

Auch wenn die Dynamik der wirtschaftlichen Ausplünderung den modebewußten Berliner Damen und Herren nicht bewußt war, konnten sie es sehen. Spätestens während des Novemberpogroms 1938. NS-Pöbel rollte am 10. November die Kleiderständer aus den Konfektionshäusern am Hausvogteiplatz, zerriß und verbrannte die Modelle und zerstörte anschließend die Inneneinrichtungen. Am brutalsten zertrümmerten die Horden das berühmte Mode- und Warenhaus „Nathan Israel“ in der Spandauer Straße. Schon im August 1938 rief der 'Stürmer‘ zur offenen Gewalt gegen dieses Haus auf. Ebenfalls am Nachmittag des 10.November begannen die Angriffe. Mit Rufen wie „Juden raus“ wurden die jüdischen Angestellten zusammengetrieben und verhaftet. Junge Männer mit Eisenstöcken schlugen die Fenster, Auslagen und die Einrichtung in Bruch. Sie rissen Stoffballen von den Tischen, warfen Schreibmaschinen, Bilder, Möbel aus den Fenstern. Wilfried Israel gelang es, die 200 verhafteten Angestellten von der Gestapo freizukaufen und wickelte für sie die Emigration ab. Im Februar 1939, es war einer der letzten Zwangsverkäufe der Modebranche, verabschiedete W. Israel sich von seinen Angestellten mit einem Dankesbrief. Schon fünf Tage später stand auf allen Anschlagsäulen zu lesen, daß das Haus nun endlich im arischen Besitz sei. Der neue Name hieß „Haus im Zentrum“ und wurde nach dem Krieg bis in die sechziger Jahre am Fehrbelliner Platz weitergeführt.

Den Hausvogteiplatz hingegen ereilte eine andere Art von Gerechtigkeit. Alliierte Bomber sprengten den Platz in Schutt und Asche, nur zwei Häuser überstanden das Flammenmeer. „Mit kindlichem Optimismus“, schrieb die damalige Zeitung 'Montags-Uhr‘ 1949, kletterten die Konfektionäre in die Ruinen des Hausvogteiplatzes, um nach „altem Muster“ ein neues Bekleidungszentrum für Deutschland aufzubauen. Von den 168 Textilfirmen, die 1940 (!) an diesem Platz residierten, kamen bis 1950 fast 80 Unternehmen wieder zurück. Heute ist am Hausvogteiplatz nur noch die „Zentralstelle des Volkseigenen Großhandels“ (Grotex) übriggeblieben. Auf dieses Haus hat die Jewish Claims Conference einen Rückerstattungsanspruch geltend gemacht.

Uwe Westphal: Berliner Konfektion und Mode 1936-1939. Die Zerstörung einer Tradition, Edition Henrich, Berlin 1986. 29,80 DM

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