RTL-aktuell: Das Leben ist ein Kampf

taz-Serie über Fernsehnachrichten: Der Kölner Privatsender zwischen Libido und Todestrieb  ■ Von Achim Baum

RTLplus, das Kölner Kommerzfernsehen, ist auf Erfolgskurs — oder sollte man besser sagen: auf dem Vormarsch. Allein der Brutto-Werbeumsatz des Unternehmens ist zwischen 1989 und 1991 um satte 70 Prozent gestiegen; die Werbeeinnahmen beliefen sich im vergangenen Jahr bereits auf mehr als eine Milliarde Mark. Erfolg gibt Recht, sagt der Volksmund. Und dieser Losung folgt auch die Nachrichtenredaktion von RTL-aktuell. Was bleibt ihr auch anderes übrig: Wer keine Einschaltquoten bringt, wird bei RTL schlicht abgeschafft. Verwundete werden keine gemacht. Auch die Nachrichtenleute müssen ständig ums Überleben kämpfen — zur Zeit tun sie es mit einigem Erfolg.

So ist für den Zuschauer, der an das Seichte und leicht Verkrampfte in den deutschen Fernsehnachrichten gewöhnt ist, die erste Reaktion: Staunen. Das Moderatorenteam von RTL-aktuell tritt mit einer derart fröhlichen Selbstgewißheit an die Rampe, wie wir es sonst nur vom Kölner Freigestirn kennen — und signalisiert damit selbst den Dümmsten, daß hier die Nachrichten von Gewinnertypen gemacht werden. Regelmäßig verfällt die Studiokamera in Aktion, holt die eine heran, schwenkt zum anderen 'rüber. Alles wird verbunden durch kleine Frotzeleien. Ständig grinsen zwei sich an, als wären sie im Flirtkursus der Volkshochschule von Köln-Lövenich. Die zugeschalteten Korrespondenten werden nicht gefragt, sondern angequatscht: „Was is'n da dran?“ oder: „Was is'n das für'n Mann, Boris Henn?“ Und dann quasselt der Boris los, beeilt sich, noch schneller zu reden als Moderator Teuner, alle lächeln und nicken sich zu: Wir wissen Bescheid. Spätestens, wenn Chefredakteur Lesche dann in seinem Kommentar blumig, aber mit Entschlossenheit verkündet: „Inzwischen weiß jeder, daß die Regierenden uns wieder mal verschaukelt haben“, hat es auch der Letzte geschnallt. RTL sagt, was Sache ist. Echte Profis. So stellen wir uns die „absichtsvolle Nähe zum Boulevard-Journalismus“ (Lesche) im Fernsehen vor. „Riesenspannung in Schwerin“ — und zuerst „holen die Armenier“, am nächsten Abend dann „Eugen Drewermann zum Gegenschlag aus“. Das sind Nachrichten mit Wucht.

Doch ganz aus Versehen hat man bei diesem Gedanken unterm Wohnzimmertisch die Hacken zusammengeschlagen. Was? Wer wurde zusammengeschlagen? „Tschuldigung für die Panne“, grinst Teuner im gleichen Moment. Und schon ist es passiert: Der Zuschauer wird vom wilden Geschehen abgelenkt, sieht auf einmal einen Bericht über die CSU in Wildbad Kreuth, „ganz gemütlich bei Kaffee und Kuchen“, und über den armen BASF-Konzern, wo 1.500 Stellen „abgebaut“ werden müssen, denn „die Löhne sind hoch, und die Kosten steigen“. Plötzliche Ernüchterung. Was für sanfte Töne und gewöhnliche Bilder! Gar kein „Hickhack um Honecker“ mehr, keine „Sex-Bestie“? Weder „Zoff“ noch „Großkampftag für Greenpeace“? Der zackige Nominalstil und die Superlative werden plötzlich durch Nuancierungen und softe News ersetzt? Warum? Keine Ernüchterung jetzt! Ich will weiter staunen. Wann kommt endlich der „grausige Leichenfund“ wieder ins Bild? Eure geile Kamera, Mensch, die war doch schon ganz nah dran an der Wasserleiche. Beinahe konnte man schon erkennen, wie „der Unterleib mit einem glatten Schnitt abgetrennt“ worden ist. Was sagt der Moderator? „Erschlagen und zersägt“? Ach, fast hätte ich's nicht verstanden, die Reporterin sagt's mir gleich noch mal. „Erschlagen und zersägt“! Und zeig doch noch mal eben das tote Mohrenkind, den Palästinenser mit dem Messer da — und den „großen Knall“, wie die das alte Posthaus bei den Ossis in die Luft sprengen. Ja, genau, und die Botschaft, die Botschaft. „Noch ist Gomolka nicht erledigt“, sagt ihr? Na, ihr von RTL, ihr kriegt dat schon hin. Boah! Un „tausend Tote“ in der Türkei? Was? „Viertausend“? Ich hatte nur was von fünf- oder sechshundert gehört. Mann, eh, so viel tote Türken. „Bilder des Grauens, als der Morgen kommt“? Ja, da habt ihr wohl recht, ihr von RTL. Bilder des Grauens, eh. Ihr Profis, ihr habt doch meistens recht. Und die Schläger da in Passau: „Kräftig Zündstoff gab's in Passau.“ Genau, eh. „Konfrontation zwischen Kampfstiefeln und Turnschuhen“. Genau, boah! Da krieg ich tierische Wut, eh, da möcht ich am liebsten mitkloppen...

Bevor ich's vergeß: Ich wollt euch noch was erzähl'n, das wär echt 'n guter Joke fürs Fernsehn, ihr macht doch zum Schluß immer so kleine Jokes. Aber jetz komm ich nich mehr drauf. Hatte irgendwas mit dem Opa von meinem Freund zu tun, dem mit dem Glatzkopf. Also, der Opa hat den kleinen Mädchen immer ins Poesiealbum geschrieben: „Das Leben ist ein Kampf. Drum siege!“ Aber wo jetz der Witz war, weiß ich auch nich mehr. Un wat wollt ich noch sagen? Ach ja: Tschuldigung für die Panne. Beim nächsten Mal: Pro7.

P.S.: 77,5 Prozent aller Jugendlichen zwischen 14 und 19 Uhr sehen täglich oder fast täglich fern. Jeder fünfte RTL-Zuschauer ist zwischen 6 und 13 Jahre alt.