Rosarote Zungen

Der italienische Konzern Benetton trägt die Skandalfahne der „Image“-Werbung: Die United Colors spekulierten jahrelang erfolgreich mit verbrüdernder Fröhlichkeit. Jetzt setzt die Firma auf Bilder von Elend und Tod. Das Landgericht Frankfurt verbot zwei Motive als „unlauteren Wettbewerb“  ■ Von Christoph Becker

„Seit vielen Jahre verfolgt Benetton nun eine gezielte Strategie bei seinen Werbebotschaften. Sie beruht auf einigen Leitgedanken, die das Wesen der Unternehmensphilosophie umfassen. Diese Vorstellungen sind: Schaffung eines internationalen homogenen Eindrucks von langer Dauer; auf die Hauptsache des Erzeugnisses, das heißt die unendliche Vielfalt von Farben, abzielen; zeigen, daß die mit dem Warenzeichen Benetton vertriebene Ware für jedermann erschwinglich ist. Weiteres strategisches Element war die Entscheidung, ein und denselben Feldzug in allen Ländern der Welt zu verwenden, so wie sich überall Waren und Geschäfte gleichen.“

Die Geschichte der Firma Benetton aus Ponzano Veneto war lang, ruhig und erfolgreich. Fünfundzwanzig Jahre lang beschränkte man sich darauf, Aufmerksamkeit allenfalls durch überdurchschnittliche Umsatzsteigerungen zu erregen. Die schnellen Publicity-Lire überließ man der Konkurrenz und wuchs statt dessen schnell, stetig und leise zum multinationalen Modekonzern mit 6.500 Geschäften in 100 Ländern. Die vier Gebrüder Benetton zählten zum schicken Geldadel Italiens und wurden stets als ökonomisches Aushängeschild des Mittelmeerstaates präsentiert. Mit der Ruhe im Staate Benetton ist es nun vorbei. Das knatschbunte, aber dennoch clevere und eigenartig vornehme Image des Konzerns hat auch gelitten. Nur der Erfolg ist geblieben. Bisher.

Vor sieben Jahren kam der unbedeutende italienische Fotograf Oliviero Toscani nach Ponzano bei Venedig, breitete seine Vorstellungen eines weltweiten Werbekonzeptes vor den wohlwollenden Augen von Luciano Benetton, dem Marketing- Spezialisten des textilen Brüdergespanns, aus und wurde umgehend eingestellt. Seine Aufgabe: der Firma Benetton eine multikompatible, internationale, aufmerksamkeitsheischende „corporate identity“ zu verschaffen. Bis zum Frühsommer 1984 hatte sich die Werbung des Hauses auf die Heimat Italien und Frankreich sowie die simple Darstellung des Produktes beschränkt. Das überdurchschnittliche Wachstum des Konzerns in alle Welt und ein umfassender Wandlungsprozeß von Werbung Mitte der achtziger Jahre erfordern aber ein Umdenken. Anstatt weiterhin mit der tatsächlichen oder vermeintlichen Produktqualität aufzutrumpfen, gehen die Marketing-Spezialisten allmählich dazu über, Images, Farben und Gefühle mit Markennamen zu besetzen („What is red?“ — „Marlboro is red“). Luciano Benetton und sein Fotograf und Gestalter Oliviero Toscani haben diese Entwicklung etwas früher als die anderen erkannt und beginnen sie, etwas radikaler, in die Tat umzusetzen. Durch die weltweite Ausdehnung der Firma und das gleichzeitige Streben nach einer umfassenden, überall akzeptierten „corporate identity“, einem internationalen Image, ist man zudem gezwungen, einen universalen Slogan und die entsprechend universale fotografische Umsetzung zu finden. Noch 1984 betitelt Benetton die Kampagne mit „All The Colors of The World“ und läßt Jugendliche verschiedener Rassen, Größen und Alter vor der Kamera hüpfen und lachen. Vierzehn Länder werden mit den Fotos in Magazinen und auf Plakatwänden ausgestattet. 1985 folgt dann die erste große, erfolgreiche und vielfach prämierte Kampagne. Der endgültige, patentierte und bis jetzt gehaltene Slogan: „United Colors of Benetton“. In 50 Ländern erscheinen die Fotos, deren Motive auf Konflikte der Vergangenheit und Gegenwart anspielen; USA und UdSSR, Deutschland und Israel, Griechenland und die Türkei, Argentinien und Großbritannien. Die historische Chiffre wird mit lächelnden Menschen konfrontiert, die — so Benetton — als „Aufruf für den Frieden in der Welt“ erlebt werden sollen. Kostenpunkt: 100 Millionen Mark, und mit nur 3.500 Angestellen weltweit ist die Summe für den Konzern Benetton eine Lappalie. Die Geschäfte gingen gut, mit der neuen Werbung gehen sie besser. Benetton ist in aller Munde. Auch wenn Pressesprecherin Sandra Gatti heute fast verzweifelt behauptet: „Eigentlich müssen wir gar nicht werben. Die Produkte sprechen für sich. Unsere Werbung ist eine Botschaft an die Welt“, und — sich selbst plappernd widerlegend — kommentiert: „Das glauben wir wirklich.“ Tatsache ist, daß eine jährliche Umsatzsteigerung von zwölf Prozent, wie etwa von 1990 auf 1991, im hart umkämpften Modemarkt zumindest bemerkenswert ist. Das sehen auch die Gebrüder Benetton so.

1986 war der Globus das neue Symbol. Nicht mehr anonyme, glückliche, schwarzweiße Models lächeln einem aus Hochglanzanzeigen entgegen und von den Plakatwänden herab, sondern ethnisch einzuordnende Personen: Chinese, Russe, Araber, deren Name in der jeweiligen Sprache unter dem Foto zu sehen ist. Sie tragen Benetton-Produkte, die aber im Motiv-Kontext wie Nationaltrachten erscheinen sollen. Wieder hagelt es Lobgesänge und Preise für die Kampagne, und ähnlich wie Peter Stuyvesants „Come Together“-Traumblase, greift auch Benetton das weltweite, gern gehörte, aber illusorische Multikulti-Blabla auf, nutzt clever den positiven Effekt und erreicht genau, was beabsichtigt ist: ein Image der Weltoffenheit. Nicht die Pullover stehen mehr bei Benettons Werbung im Vordergrund, sondern die Besetzung positiver, jugendlicher Werte. In solchermaßen tieffriedlichem Umfeld muß die martialische Wortwahl überraschen, mit der Benetton seine Kampagnen beschreibt. Durchgängig sprechen die Informationsbroschüren des italienischen Strickers von einem „Feldzug in allen Ländern der Welt“. Gegen wen zu Felde gezogen wird, ob gegen die dümmliche Werbekonkurrenz oder die vermaledeite Kauf-Restistenz des potentiellen Kunden, erwähnt der Textilkonzern nicht. 1987 und 1988 fällt Benettons Marketing unter den Slogan „United Fashions Of Benetton“ und „United Superstars“ in alte Werbemarotten zurück. Ein paar Jugendliche springen in Benetton- Kleidung etwas einfallslos durchs Bild. Ähnlich müde ist der Versuch, die Mischung von Stilen und Kulturen unter dem historisch-kulturellen Aspekt zu betrachten und Jean D'Arc gemeinsam mit Marilyn Monroe, Leonardo da Vinci mit Cäsar, Adam mit Eva, Mao mit Kleopatra aufs Bild zu hieven.

Erst 1989 kehrt Benetton zum alten Konzept zurück ud stellt das Jahr unter das Thema: Gleichheit zwischen Schwarz und Weiß. Das erste Motiv ist vergleichsweise harmlos. Zwei Männer, ein Weißer und ein Schwarzer, sind mit Handschellen aneinandergekettet. Mit dem zweiten Motiv kommt Benetton dann allerdings in den Genuß des ersten Skandals. Eine schwarze Frau stillt ein weißes Baby. In den USA verurteilen schwarze Organisationen das Bild als diskriminierend und fordern die Einstellung der Kampagne. Benetton zieht daraufhin in Amerika die Abbildung zurück, wirbt aber in Europa weiter damit und erhält reihenweise Prämierungen. Medien überschütten den Konzern mit Lobeshymnen. „War Lebensgefühl in der Werbung bisher eher eine unverbindliche Verheißung von Fun, Schönheit und Frische“, schreibt Peter Glaser in 'Tempo‘, „wird nun mit pazifistisch chiffrierten Bildern der hohe moralische Anspruch, den Jugendliche stellen, gleich mit in die Werbebotschaft übernommen. Tatsächlich bemerkenswert, daß eine Aufgabe, die einmal die Moralphilosophie innehatte, heute von Hosenherstellern tradiert wird.“ Auch wenn Glaser ihn auszumachen meint, den moralphilosophischen Handlungsauftrag konnten Benetton mit ihrer Werbung natürlich nie leisten. Worum es allenfalls ging, war die Darstellung einer Utopie und als solche allerdings bemerkenswert. Doch der grüne Streifen am Rand des Fotos mit dem unauffälligen, aber klaren Hinweis „United Colors of Benetton“ erlaubt dem Betrachter stets das Verbleiben in der Passivität. Denn die konsumorientierte Wahrnehmung von Werbung — und als solche dechiffriert man, trotz der ungewöhnlichen Motive, aufgrund des grünen Streifens auch die Benetton- Fotos — unterscheidet sich erheblich von der erkenntnisfördernden Wahrnehmung von Moralphilosophie.

Das Thema Rassengleichheit bleibt auch 1990 im italienischen Marketing-Konzept präsent. Diesmal allerdings auf einer abstrahierten, symbolischeren Ebene: Eine weiße und eine schwarze Hand beim Stabwechsel, ein weißes und ein schwarzes Kind sitzen auf dem Topf, ein weißer Hund ist neben einer schwarzen Katze abgebildet. Der Erfolg bleibt Benetton treu, und so tönt die Firma für ihre 91er Frühjahrs- und Sommerkampagne: „Die eingeschlagene Richtung der Werbung, die sich den sozialen und höchsten Werten verpflichtet fühlt, wird weiterverfolgt.“ Die Motive: Ein weißer Mann drückt einer schwarzen Frau einen Kuß auf die Wange. Ein schwarzes, ein asiatisches und ein weißes Kind strecken ihre gleichermaßen rosafarbene Zunge heraus. Verschiedenfarbige, ausgerollte Kondome. Bunte Blätter über einer meeresgroßen Erdöllake. Ein Soldatenfriedhof. Sowohl die Kondome wie auch der Soldatenfriedhof ergeben für Benetton den zweiten Skandal. Mit den beiden Motiven deutet der Konzern schon die künftige Ausrichtung des Werbekonzepts an, begibt sich in tabuisierte Bereiche wie Aids und Tod. „Die Abbildungen sollen nicht die Schönheit und Qualität der Benetton-Kleidung zum Inhalt haben“, erklärt der 57jährige Luciano Benetton das Konzept, „sondern das Interesse der Leute — auch des zerstreutesten Lesers — wecken. Mit dem eindeutigen Ziel, zum Nachdenken anzuregen, Gleichgültigkeit zu verhindern.“

Das ist Benetton mit ihrer diesjährigen Kampagne auf ultimative und absolut umstrittene Weise gelungen. Sieben Motive des Elends aus den verschiedenen Teilen der Ersten wie Dritten Welt hat Oliviero Toscani eingekauft und unkommentiert mit dem grünen Streifen „United Colors Of Benetton“ versehen: Ein verblutendes Mafia-Opfer in Italien. Ein afrikanischer Bürgerkriegssoldat mit einem Oberschenkelknochen in seinen Fäusten. Umweltkatastrophen. Menschliche Grausamkeit. Und das Foto des Aids-Toten David Kirby und seiner trauernden Familie. An dieser ungeschminkten Darstellung des Toten entzündete sich prompt der Streit. Während in den USA die Magazine 'Vogue‘ und 'Vanity Fair‘ anstandslos die Anzeige abdruckten, veröffentlichte die britische Ausgabe von 'Elle‘ im Heft zwei weißen Seiten. Deutsche Hochglanzmagazine zogen nach und weigerten sich ebenfalls, das Foto zu drucken. Selbst der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft verurteilte die Werbung als unmoralisch und sensationslüstern. Schließlich erließ das Landgericht Frankfurt vor einer Woche auf Antrag der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in Bad Homburg die einstweilige Verfügung, daß die weitere Veröffentlichung der Anzeige verboten sei. In Zeitungen und Zeitschriften hatte schon vorher der Sturm auf die allzu lang schon erfolgreiche Bastion Benetton begonnen. Selbst Blätter wie 'Tempo‘ oder 'Max‘, deren Ziel es ist, Liberalität mit Sensations- Geilheit zu verbinden, stänkerten: „Das Bild eines Aids-Toten kann nicht dazu dienen, bunte Pullis beliebt zu machen“, oder: „Toscani als Missionar einer zweifelhaften Moral“. Selbst der 'Spiegel‘ ist sich nicht meinungssicher und verurteilt einerseits die verlogenen Abdruckweigerungen aus den Chefetagen der schönen, neuen Frauenmagazine, entzieht sich andererseits einer klaren Stellungnahme durch den cleveren Kunstgriff, Werbung mit Kunst auf eine Ebene zu stellen, Werbung wie Kunst zu betrachten, ihr somit alles zuzugestehen und einer moralischen Bewertung enthoben zu sein. „Die Werbung ist also keine Werbung mehr“, gibt das Nachrichtenmagazin zu bedenken, „trotzdem existiert sie zweifellos — und also muß sie etwas anderes sein: Werbung ist Kunst, mehr bleibt ihr gar nicht übrig.“ Und weiter: „Die Wirkung der Kunstwerke besteht darin, ,interesseloses Wohlgefallen‘ auszulösen, schrieb einst Kant — und diesen Anspruch löst die Werbung spielend ein.“ Das, natürlich, ist Unsinn — zumindest was Benettons neueste Kampagne angeht. Wohlgefallen dürften die Bilder auch beim hartgesottensten Betrachter kaum mehr hervorrufen, und von Interesselosigkeit kann im Zusammenhang mit Werbung auch keine Rede sein. Die Provokation allerdings haben Benettons Fotos mit mancher Kunst gemein. Auch wenn diese Provokation in der Werbung des Modekonzerns exakt kalkuliert ist und Firmen-Insider behaupten, das alleinige Ziel von Benettons aktueller Werbepolitik sei der Schock. Fragt sich nur, was sich Luciano Benetton und Oliviero Toscani von diesem Schock versprechen. Mehr verkaufte Maschen wahrscheinlich. Doch da gäbe es auch einfachere Wege. Die Frage nach dem Sinn der Kampagne bleibt. Und genau das macht den Reiz dieser Werbung aus.

(Aus einer Informationsschrift

der Firma Benetton, 1991)