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Auftakt für einen blutigen Frühling?

Die türkische Armee und die bewaffnete kurdische Organisation PKK bereiten sich seit Monaten auf einen „Volkskrieg“ vor/ Stichtag: Heute zum traditionellen kurdischen Frühjahrsfest „Newroz“  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Noch vor Beginn des kurdischen Frühjahrfestes „Newroz“, das heute gefeiert wird, kündigte sich die Gewalt in Türkisch-Kurdistan an. In der kurdischen Stadt Cizre am Tigris baumelten am Donnerstag morgen zwei Dorfmilizionäre an einem Strommast auf der Hauptverkehrsstraße. Ihre Münder waren mit Geldscheinen gestopft. In Cizre wurde die Botschaft verstanden. Die Dorfmilizionäre, die unter kurdischen Stämmen rekrutiert werden, werden vom türkischen Staat großzügig entlohnt und bewaffnet, damit sie gegen die Guerilleros der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) kämpfen.

Erst vor wenigen Tagen hatte die PKK angekündigt, daß Dorfmilizionäre, die ihre Waffen nicht abgeben, „hingerichtet“ werden. Zeitgleich griff die PKK mit Bomben und Artillerie nahe der Stadt Kurtalan eine Zementfabrik und einen Sender des türkischen Fernsehens an. Die Fernsehprogramme des verhaßten, „faschistischen, türkischen Staates“ waren anschließend zumindest im Gebiet um Kurtalan nicht mehr zu empfangen.

Militär richtet Blutbad unter Zivilisten an

Zeitgleich richtete das türkische Militär in dem Dorf Karabayir in der kurdischen Provinz Mardin ein Blutbad an. Das Dorf wurde eingekesselt und zwei Häuser dem Erdboden gleichgemacht. 14 Menschen kamen amtlichen Berichten zufolge ums Leben. „12 Terroristen tot gefangengenommen“ lauten die offiziellen Verlautbarungen. Daß in den beiden Häusern zwei Frauen und Kinder ermordet wurden, daß der elfjährigen Rahsan Say beide Beine amputiert wurden, verschweigt der amtliche Bericht.

„Newroz“ ist der Auftakt für einen blutigen Frühling in dem Gebiet. Newroz, der Tag an dem laut der Legende der Schmied Kawa den Despoten Dahok tötete, ist ein Symbol für den Freiheitskampf der Kurden. Über Jahrzehnte war das Feiern des „Newroz“ — des nachts werden allerorts Feuer entfacht, die die Kunde vom Tod des Despoten weitertragen sollen — in der Türkei strengstens verboten. In diesem Jahr wies die Regierung in Ankara den Regionalgouverneur an, nicht bei Feierlichkeiten zum „Newroz“ zu intervenieren. Die Regierung ist sehr darum bemüht, daß Newroz im Rahmen der gesetzlichen Grenzen gefeiert wird — so Regierungssprecher Akin Gönen. Tagelang wurde über einen Festakt im Fußballstadion der heimlichen Hauptstadt Kurdistans, Diyarbakir, verhandelt: Erst verbot der Gouverneur die von der „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) angemeldete Veranstaltung, dann wurde sie auf Anweisung von Ministerpräsident Demirel doch zugelassen. Am Ende wollte sich die HEP nicht länger verschaukeln lassen und sagte den Festakt in Diyarbakir ganz ab. Stattdessen soll jetzt im Sportpalast der kurdischen Stadt Van gefeiert werden. Um den feiernden Kurden entgegenzukommen, ließ der Landrat von Cizre, Cavit Erdogan, bereits Feuerwerkskörper nach Diyarbakir bringen: „Wir sind nicht gegen das Feiern“, sagte er, „Sie können sogar demonstrieren. Nur bei ungesetzlichen Aktivitäten werden wir eingreifen.“

Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Kurden werden heute Newroz feiern und mit Sicherheit ist davon auszugehen, daß die Newroz- Feiern sich zu Sympathiebekundungen für den bewaffneten Kampf der PKK entwickeln. Ein Blutbad unter kurdischen Zivilisten ist zu befürchten, falls das türkische Militär schießt.

Anläßlich des Newroz-Festes brachte die PKK-Unterorganisation „Volksbefreiungsarmee Kurdistans“ in den kurdischen Städten und Dörfern mehrere Flugblätter in Umlauf: „1992 wird Kurdistan Zeuge eines erbarmungslosen und blutigen Krieges werden. Unser Feind trifft Vorbereitungen für einen Vernichtungsfeldzug. Wir müssen mit einem Volkskrieg diesem faschistischen Vernichtungsfeldzug, der gegen unsere nationale Existenz, gegen unsere Ehre und unser Recht auf Leben gerichtet ist, entgegentreten.“ Die PKK erteilt in dem Flugblatt Instruktionen für den „Volkskrieg“, der nichts anderes bedeutet, als daß die kurdische Zivilbevölkerung mit Aufständen — „Serhildan“, das kurdische Gegenstück zur Intifada — die Guerilla unterstützt: „Die Kinder sollen Nachrichten über den Feind sammeln, sie sollen sich mit Steinen und Stöcken am Widerstand beteiligen. Die Frauen und Mädchen sollen an vorderster Front des Serhildan marschieren.“

PKK nimmt Tausende Tote in Kauf

Eine Art totaler Bürgerkrieg, der Tausende von Zivilisten das Leben kosten könnte, wird offensichtlich von der PKK in Kauf genommen. Die Instruktionen sind eindeutig: „Laßt uns bei jeder Gelegenheit den Serhildan in den bewaffneten Aufstand überleiten. Laßt uns in den Dörfern, auf den Straßen, in den Quartieren Barrikaden errichten. Laßt uns die Militärwachen, die öffentlichen Gebäude und die Wirtschaftsunternehmen des Staates angreifen. Jeder Kurde ist ein Guerillero.“ Die PKK hat das Jahr 1992 zum Wendejahr erklärt. Die Einberufung eines „Nationalparlaments“ und eines „Kriegskabinetts“ ist angekündigt.

Das Konzept des „Volkskrieges“ haben die türkischen Militärs wohlverstanden. „Die Terroristen haben das Versprechen abgegeben, daß sie zu Newroz den Aufstand beginnen werden“ kommentierte Generalstabschef Dogan Güres in der Tageszeitung 'Hürriyet‘. Repräsentanten des türkischen Staates haben unter dem Druck der allmächtigen Militärs den Frühling 1992 zur Wende erklärt. In den vergangenen Monaten wurden massive Truppenverlegungen in die kurdischen Gebiete registriert. Erneut bombardierten im März türkische Militärflugzeuge mehrfach mutmaßliche PKK-Lager im Nordirak. Die Ausmerzung der kurdischen Guerilla PKK ist zum allerheiligsten Ziel erklärt. Ein dreckiger Krieg wird geführt. Über 60 teils sehr bekannte kurdische Persönlichkeiten und Journalisten, die für ihre politische Nähe zur PKK bekannt waren, fielen Mordanschlägen zum Opfer.

Die völlige Niederwerfung der kurdischen Guerilla PKK ist in den Augen der türkischen Politiker Voraussetzung für einen „Frieden“ in Türkisch-Kurdistan. Vergangenen Dienstag folgte das türkische Parlament dem Ratschlag des von den Militärs dominierten „Nationalen Sicherheitsrates“ und verlängerte den Ausnahmezustand in den kurdischen Gebieten um weitere vier Monate. Klammheimlich wird in den Spitzen des türkischen Staatsapparates daran gedacht, den Kurden weitergehende kulturelle Rechte einzuräumen — doch erst nach einer totalen Zerschlagung der PKK, die mittlerweile über rund zehntausend Partisanen verfügen dürfte. Doch eine friedliche, politische Lösung der Kurdenfrage unter Ausschluß der PKK ist ein Hirngespinst türkischer Politiker.

Längst ist es üblich, daß bei Beerdigungen von gestorbenen Guerilla- Kämpfern Fahnen der PKK geschwenkt werden ohne daß die türkischen Militärs — wie noch ein Jahr zuvor — auf die demonstrierende Gemeinde schießen. Viele der Straßensperren, die Tag und Nacht türkische Soldaten in den kurdischen Regionen errichteten, existieren heute nicht mehr. Nachts überläßt man das Gebiet der Guerilla und zieht sich in die Kasernen zurück. Kleinere militärische Einheiten der türkischen Armee bis zu 50 Mann werden abgeschafft und in größeren Einheiten integriert. Zu oft fielen kleinere Einheiten Attacken der PKK zum Opfer.

Die PKK, von den putschenden Militärs 1980 als ungefährliche kleine „Räuberbande von Separatisten“ eingestuft, hat sich als politische Autorität in den kurdischen Regionen der Türkei etabliert. Der Abgeordnete Eyüp Asik von der oppositionellen rechten „Mutterlandspartei“ wunderte sich: „Im Osten geht keiner vor die Gerichte. Bei Streitfällen wenden sich die Menschen an die PKK, um Konflikte zu lösen.“

Die feste Verankerung der PKK in der kurdischen Bevölkerung wurde auch deutlich, als eine Delegation türkischer Abgeorneter, unter ihnen ein Dutzend Abgeordnete der beiden Regierungsparteien, Anfang März die kurdischen Regionen bereiste. Den Abgeordneten, die eine Goodwillreise im Sinn hatten, wurde kein freundlicher Empfang bereitet. „Es lebe die PKK“, „Es lebe unser Führer Apo“, „Guerilla schlag zu, errichte Kurdistan“ skandierten Tausende im kurdischen Idil. In Cizre klärte der Stadtvorsitzende der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“, Hasan Baykara, die Abgeordneten über die politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt auf. „Schaut her, jede Familie in Cizre hat ein Mitglied, das bei den Guerilleros ist. Die PKK ist nicht vom Himmel gefallen. Die PKK ist mein Bruder, mein Onkel, meine Schwester. Wir sind die PKK.“

Aufgeschreckt von den Nachrichten über eine bevorstehende Offensive der türkischen Armee und dem „Volkskrieg“, den die PKK verkündet, haben sich in den großen Städten der Türkei zahlreiche türkisch-kurdische Initiativen gebildet, deren erklärtes Ziel die Verhinderung eines türkisch-kurdischen Bruderkrieges ist. Ein Bürgerkrieg in Türkisch- Kurdistan könnte sich langfristig zu einem Bürgerkrieg auch im Westen der Türkei entwickeln und zu einer Beirutisierung der Zehn-Millionen- Metropole Istanbul führen, wo bereits drei Millionen Kurden leben. In mittelanatolischen Städten bilden sich bereits nationalistisch-chauvinistische türkische Gruppen, die Rache schwören.

Intelektuelle fordern Dialog mit der Guerilla

Freimütig wird in den Initiativen, die von Intellektuellen getragen werden, die Legalisierung der PKK gefordert. Allein ein direkter Dialog der Regierung mit der PKK biete die Möglichkeit, das Gewaltpotential abzubauen. Die legale kurdische „Arbeitspartei des Volkes“ unterstützt das Zustandekommen eines Dialoges. Die Partei führte vor Beginn des Newroz mehrere Kundgebungen durch. „Die Völker sind Brüder, Schluß mit den Massakern“ waren das Motto. Auf der letzten Kundgebung vor Newroz in Adana richtete Parteivorsitzender Feridun Yazar einen Appell an die Bürgerkriegsparteien: „Ich appeliere an den Staat. Ihr werdet mit Waffen, mit Gewalt das Problem nicht lösen. Laßt die Finger von den Kriegsvorbereitungen. Ich appelliere an die PKK. Stoppt eure Aktionen. Laßt uns den Weg des Dialoges beschreiten.“ Doch die Hoffnung von Yazar „Nicht Krieg, sondern Frieden soll uns der Frühling bringen“ dürfte sich kaum erfüllen.

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