: Vom kleinen Fisch zum großen Drachen
Südkoreas Wahlkampf kommt ohne große Themen aus/ Aussicht auf einen Machtwechsel bei den morgigen Parlamentswahlen gering/ Auch die Opposition fordert keine Demokratisierung ■ Aus Seoul Peter Lessmann
Unter den knapp 1.000 Menschen auf einem Schulhof im Seouler Tongdaemun-Bezirk kommt Stimmung auf. Ein junger Mann ergreift das Mikrophon, und zu leidenschaftlichen Gitarrenklängen versucht der Einpeitscher die Zuhörer in Extase zu versetzen: „Kim Dae Juuuung! Kim Dae Juuuuung!!“, brüllt er immer wieder ins Mikrophon, als der charismatische Oppositionsführer in einer schwarzen Limousine vorfährt. In Südkorea ist Wahlkampf für die 14. Parlamentswahlen — und Kim wird gefeiert wie ein König.
Demütig den Kopf gesenkt, steht der 39jährige Kandidat des Wahlkreises direkt neben seinem Parteiboß. Der junge Mann aus der Demokratischen Partei (DP) will seinem Gegner aus der Regierungspartei den Bezirk abjagen. Aber es scheint nicht um ihn zu gehen, sondern nur um Kim. „Wenn die Opposition die Wahlen gewinnt“, sagt Kim Dae Jung, und er wähnt sich mit diesen Worten schon fast im Präsidentenpalast, „dann wird Südkorea, das die jetzigen Machthaber zu einem kleinen Fisch heruntergewirtschaftet haben, wieder ein Drache werden — aber nicht nur in Asien, nein, auf der ganzen Welt.“ Für Kim steht bei den kommenden Wahlen zur Nationalversammlung einiges auf dem Spiel. Das gleiche gilt für seinen ehemaligen Weggefährten und Intimfeind aus der regierenden Demokratisch- Liberalen Partei (DLP), Kim Young Sam.
Verräter der Demokratiebewegung
Beide Kims, verantwortlich für die Spaltung der Opposition im Jahre 1987 und deren Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen, verheimlichen nicht, Ende des Jahres erneut für das höchste Amt im Staate kandidieren zu wollen. „Durch die beiden“, erinnert sich Oh Yong Shik, Pfarrer einer kleinen Seouler Slumgemeinde, „wurde damals unser Traum zerstört.“ Aber dennoch sei Kim Dae Jung kein „hoffnungsloser Fall“, der Bessere von beiden jedenfalls und das kleinere Übel. Aber unter der kritischen Intelligenz und Dissidenten hat der im Grunde genommen tief konservative Politiker, der seine Partei autoritär führt, seine Sympathien längst verloren.
Und Kim Young Sam gilt in Oppositionskreisen als Verräter an der Demokratiebewegung schlechthin. Denn vor zwei Jahren schwenkte er ins Regierungslager über und gründete gemeinsam mit dem Staatschef Roh Tae Woo die mächtige DLP. Er habe sich „geopfert“, sagt Kim heute, um Stabilität in die Politik zu bringen. Bei den letzten Parlamentswahlen 1988 hatte die alte Regierungspartei nämlich die Mehrheit in der Nationalversammlung verloren.
Geheimtreffen bei Möllemann
Heute redet der ehemalige Oppositionelle Kim nicht anders als die meisten Falken in der Regierung. Politische Gefangene? Nein, die gebe es heute nicht mehr, das seien alles „Gewaltverbrecher“, und damit meint Kim offensichtlich auch den Pfarrer Moon Ik Hwan und die Studentin Lom Soo Kyong, deren einziges Vergehen darin bestand, illegal nach Nordkorea zu reisen.
Kim Woo Choong, Chef des Industriekonzerns „Daewoo“, bleibt dagegen unbehelligt, obwohl er sich im letzten Februar in Deutschland in geheimer Mission mit dem nordkoreanischen Handelsminister Kim Dal Hyon traf — auch das ein Verstoß gegen das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz. Dort wurden die beiden sogar von Wirtschaftsminister Mölllemann und dem FDP-Chef Lambsdorff empfangen.
In der Hafenstadt Pusan, einer Wahlhochburg Kim Young Sams, wird der zweite Mann in der DLP- Hierarchie gefeiert wie immer. „Kim Yong Sam for President“, skandierten seine Anhänger schon heute, und der verspricht ihnen, schon im nächsten November erneut nach Pusan zu kommen — wenn der Präsidentschaftswahlkampf beginnt. Nur die jetzige Regierung, sagt der DLP-Vorsitzende, könne dem Land Stabilität bringen und die schwierige Aufgabe der Wiedervereinigung lösen. Doch das Thema Aussöhnung mit dem kommunistischen Nordkorea interessiert die meisten südkoreanischen Wähler nicht, trotz des erst im letzten Dezember unterzeichneten Entspannungsvertrages. Sie haben andere Probleme, sorgen sich um steigende Preise und unbezahlbare Mieten.
Wirtschaftliche Fragen dominieren den südkoreanischen Wahlkampf. Das Wichtigste, was jetzt erreicht werden müsse, sagt Pfarrer Oh, sei der Übergang zu einer zivilen Regierung. Denn mit einer Zwei- Drittel-Mehrheit der DLP würden die Militärs ihren Einfluß auf allen Ebenen der Gesellschaft festigen. Mit 70 Prozent aller Abgeordneten verfügt die Regierungspartei heute über eine satte Mehrheit im Parlament. Von den 237 Sitzen will sie am Dienstag mindestens 140 erringen; 40 Prozent, sagt sie, seien ihr jetzt schon sicher und könnte damit Recht behalten. Dabei profitiert die DLP nicht nur von dem weit verbreiteten Bedürfnis nach Stabilität, sondern auch von einer zunehmenden politischen Abstinenz der Bürger.
Demokratisierung der Gesellschaft, auch das ist heute kein Thema mehr. „Die demokratischen Spielräume sind zwar größer geworden“, glaubt Oh, „aber sie werden nicht ausgenutzt.“ Die Presse greife die Anliegen der Bürger nicht auf, mache alles nur schlecht und habe den politischen Nihilismus im Lande gefördert.
Knapp über 1.000 Kandidaten werden sich am Dienstag um die Parlamentssitze bewerben, darunter kaum mehr als zehn Frauen. Yoon In Shik, eine Unabhängige, ist eine der Bewerberinnen. Ohne Geld hat sie nicht die geringsten Chancen, ins südkoreanische Männerparlament gewählt zu werden. „Koreanerinnen sind sehr konservativ“, sagt die 50jährige Yoon, „und ich will sie mit meiner Kandidatur aufwecken.“
Partei der fetten Geldbörse
Bessere Aussichten hat dagegen die erst zwei Monate alte Partei des Gründers der Hyundai-Gruppe, Chung Ju Yung. Seine Nationale Wiedervereinigungspartei, die 43.Hyundai-Filiale, wie böse Zungen sagen, ist die große Unbekannte bei der bevorstehenden Abstimmung. Sie gilt als die Partei der „fetten Geldbörse“, und der steinreiche Chung hat Manager und Angestellte aus seinem Firmenimperium zusammengetrommelt.
Wahlvorhersagen zufolge hat die regierende DLP die besten Aussichten, wieder eine Mehrheit zu erringen. Die oppositionelle DP Kim Dae Jungs wird nur in ihrer uneinnehmbaren Festung in der westlichen Cholla-Provinz triumphieren. Die Zeit Kims, sagen denn auch einige, sei abgelaufen, und Kritiker bespötteln den Politiker als Regionalfürsten. Alternativen in der südkoreanischen Politik sind jedenfalls nicht in Sicht. Oppositionelle wie Pfarrer Oh glauben, daß es für eine wirklich progressive Partei noch zu früh sei. „Viel wichtiger ist es heute, in Bürgerbewegungen mitzumischen und politische Handlungsspielräume zu erweitern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen