Von begehrter Bückware zur bigotten Mischung

Die traditionsreiche DDR-Unterhaltungszeitschrift 'Das Magazin‘ steht kurz vor ihrer Abwicklung durch Gruner+Jahr  ■ Von Jens Brüning

Nein, Alice Schwarzer würde nie und nimmer in dieser Zeitschrift schreiben. Das hat sie dem Blatt schriftlich bestätigt. In der jüngsten Ausgabe gab sie im Leserforum zu Protokoll: „Da wir diese bigotte Mischung aus Pseudo-Engagement und Pornographie im Westen seit 20 Jahren kennen, sind wir nicht gerade begeistert darüber, daß dies nun im Osten noch einmal wiederholt werden soll.“ Wer zu spät kommt, den straft das Leben: 'Das Magazin‘ ist bereits 38 Jahre alt, und die „bigotte Mischung“, die Frau Schwarzer („wir“) in dem ihr zugesandten Exemplar entdeckt hat, ist ein West-Import, mit dem die Redaktion überhaupt nicht glücklich ist.

Zur Erinnerung: 1990 wechselte der Berliner Verlag, in dem 'Das Magazin‘ erscheint, den Besitzer. Gruner+Jahr und Robert Maxwell kauften den SED-gelenkten Mischwarenladen und versprachen, daß er wachsen und gedeihen sollte. Seitdem ist die Frauen-Illustrierte 'Für Dich‘ eingestellt worden. Die 'Neue Berliner Illustrierte‘ erlebte eine nur kurze Blüte unter dem Titel 'extra‘ und wurde, als es mit den Leserzahlen gerade bergan ging, abgewickelt. Und Gruner+Jahr trennte (nach dem Tod von Robert Maxwell Alleininhaber) den Zeitungsverlag ('Berliner Zeitung‘, 'Kurier‘) vom Zeitschriftenverlag ('Wochenpost‘, 'F.F.‘, 'Das Magazin‘). Seitdem hat 'Das Magazin‘ einen neuen Chefredakteur: Wolf Thieme. Der war in grauer Vorzeit beim 'Stern‘ beschäftigt, unter anderem damit, die von Gerd Heidemann recherchierten „Fakten“ über die angeblichen „Hitler-Tagebücher“ in lesbare Schriftform zu bringen. Nach dem Skandal tauchte Thieme als Korrespondent in Rom unter, wechselte dann zum 'Playboy‘ und erschien 1991 als Chef der Unterhaltungszeitschrift 'Das Magazin‘ in Berlin. Das Gastspiel des Interimschefs wird in Kürze beendet sein.

Zurück bleibt 'Das Magazin‘, das mit der gleichnamigen Monatszeitschrift von vordem nichts mehr gemein hat. Vom Familienblatt mit einem „Hauch von Erotik“, einst begehrte „Bückware“ im DDR-Zeitschriftenhandel, verkam das Blatt zum verwechselbaren Hochglanzheft für den etwas verklemmten Neudeutsch-Yuppi. Teilten sich zu DDR-Zeiten zwei bis drei Millionen Leser die wegen der restriktiven Papierzuteilung nur möglichen 600.000 angebotenen Exemplare (Abonnements wurden gern im Testament als Erbmasse eingesetzt), finden 1992 noch 100.000 Hefte ihren Weg zur Leserschaft. Wurde das Blatt nach der Wende fast ausschließlich von gelernten DDR-Bewohnern gemacht, kamen 1991/92 über 80 Prozent der Beiträge, Fotos und Geschichten von Westlern. „Das Blatt hat die falschen Leser, und die bisherigen Leser haben das falsche Blatt“, stellen die verbliebenen 'Magazin‘- Redakteure in einem Papier für die heute stattfindende Gruner+Jahr- Betriebsräte-Konferenz fest.

Auch die Kosten haben sich wegen der Redaktionspolitik von Wolf Thieme, der für Berater aus dem Westen gerne Geld ausgab, fast vervierfacht. Der Versuch, 'Das Magazin‘ an westdeutschen Bahnhofskiosken und -buchhandlungen einzuführen, muß als gescheitert angesehen werden — für die notwendige Werbung wurden keine nennenswerten Beträge investiert. Das Heft im DIN- A5-Format, 1953 zusammen mit der 'Wochenpost‘ gegründet als Zugeständnis an die nach dem 17. Juni 1953 unzufriedenen Landeskinder, konnte sich auf eine Tradition aus den 20er Jahren berufen. 'Das Magazin‘, im Oktober 1924 erstmals erschienen, wollte für Deutschland etwas Ähnliches schaffen wie die britischen und amerikanischen Unterhaltungsmagazine 'Punch‘ und 'New Yorker‘. Herausgeber und Verleger kamen aus der Filmbranche: F.W. Koebner, Herausgeber bis 1932, veröffentlichte in seinem Blatt seinen Roman Wenn ich mein Leben neu beginnen könnt'..., und als erster Verleger zeichnete der Regisseur und spätere Exilant Robert Siodmak. Andere Verlage zogen damals nach: Fast ein Dutzend Magazine erschienen in den zwanziger Jahren, darunter auch das 'Magazin für alle‘, dessen Herausgeber Willi Münzenberg war. Auf dieser Tradition baute 'Das Magazin‘ seit 1954 auf.

Als die Redaktion im Januar 1990 seine Leserinnen und Leser — es waren in der überwiegenden Zahl langjährige Leser — fragte, wie es weitergehen solle, kam neben der üblihen Kritik viel Zuspruch: „Auf keinen Fall möchte ich mir vorstellen, daß es 'Das Magazin‘ nicht mehr gibt“, schrieb ein Leser. Und: „'Das Magazin‘ gefällt mir deshalb so gut, weil es den Intellekt anspricht. Man kann bei Euch Sachen lesen, die man ohne Euch niemals erfahren würde.“ Und: „Ich meine, eine Sexzeitung ist eine Sexzeitung, und 'Das Magazin‘ bleibt 'Das Magazin‘.“

Nachdem eine Hamburger Werbeagentur schon 1991 das Blatt neu gestylt hatte, nachdem der von Gruner+Jahr eingesetzte Chefredakteur Wolf Thieme aus dem Blatt gemacht hat, was es nun ist, sehen die übriggebliebenen Redakteure für ihre und die Zukunft des Blattes schwarz. „Der jüngste Versuch, 'Das Magazin‘ zu einem 'durcherotisierten‘ Blatt für potente, junge Männer im Westen zu machen, wäre ein falscher Weg in eine falsche Richtung. Solche Blätter gibt es zur Genüge“, stellen die Redakteure fest. Und sie hoffen: „'Das Magazin‘ hat möglicherweise eine Chance, wenn es von den alten Lesern wiedererkannt wird — wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Es hat eine Chance, wenn es etwas Besonderes, etwas Wertvolles ist, eine hohe Schule der Trivialliteratur (auch wenn das paradox klingt); das Blatt für den Bildungsbeflissenen, den es in die Lage versetzen soll, über vieles mitreden zu können.“ Und: „Die Zeitschrift muß für die ganze Familie etwas bieten.“

Ja, das hat es einst gegeben. Eine Oase in hektischen Zeiten. Ob es bei Gruner+Jahr, diesem Verlag für vielerlei, eine kleine Nische gibt für ein Druckwerk, das die gewesene DDR als Nischenprodukt überdauert hat? Die Redaktion glaubt fest an sich. Aber die Verlagsleitung hat bisher diesen Glauben nicht gefestigt. Seit Februar ist aus Hamburg über 'Das Magazin‘ nichts mehr nach Berlin gedrungen. Und Alice Schwarzer würde ja auch nicht für 'Das Magazin‘ schreiben...