INTERVIEW
: „Die PKK muß legalisiert werden“

■ Feridun Yazar, Vorsitzender der legalen kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) in der Türkei, über den Krieg im Osten des Landes

Die „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) wurde 1990 von einigen kurdischen Abgeordneten der sozialdemokratischen SHP gegründet, die wegen ihrer Teilnahme an einem internationalen Kurdenkongreß in Paris aus der Partei ausgeschlossen worden waren. Da die Partei zu den Wahlen vom vergangenen Jahr nicht zugelassen wurde, präsentierten sich ihre Kandidaten auf den Listen der SHP und erreichten 20 Sitze im 450köpfigen Parlament.

taz: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder zum Dialog zwischen der kurdischen Guerilla PKK und dem türkischen Staat aufgerufen. Doch nach dem blutigen Newroz, dem kurdischen Neujahr, haben sich die Fronten verhärtet. Ministerpräsident Süleyman Demirel spricht von einem „verdeckten Krieg“. Der Sprecher der PKK in London kündigt einen „totalen Krieg“ gegen den türkischen Staat an. Spielt Ihre Partei überhaupt noch eine Rolle, während in den kurdischen Gebieten der Türkei der Krieg tobt?

Feridun Yazar: Unsere Rolle besteht darin, auf demokratische Verhältnisse, auf ein demokratisches Regime hinzuarbeiten. Und wir möchten dies zusammen mit dem türkischen Volk bewerkstelligen. Obwohl die überwiegende Mehrheit unserer Parteimitglieder Kurden sind, so haben wir doch eine Reihe türkischer Mitglieder. Wir möchten eine politische Lösung, wo Kurden und Türken brüderlich und frei zusammenleben. Ein Dialog ist dringlicher denn je. Zur Zeit wird von Krieg geredet. Doch ich sehe keine Kriegsparteien. Dies ist kein Krieg, dies ist ein Angriff auf die kurdische Zivilbevölkerung. Fast alle Toten und Verletzten sind kurdische Zivilisten. Es gibt kaum Mitglieder der Sicherheitskräfte, die verletzt sind. Zielscheibe war die Zivilbevölkerung, die eingeschüchtert werden soll. Dies ist ein Szenerio, das der Staat von langer Hand vorbereitet hat. Der Staat glaubt, daß er die PKK von der kurdischen Bevölkerung abtrennen kann, um anschließend nach seinem Belieben eine neue Ordnung zu etablieren. Doch diese Rechnung wird nicht aufgehen. Die Existenz unserer Partei ist eine Chance für eine politische Lösung.

Was heißt „politische Lösung“?

Ganz einfach. Die Regierung hatte bei ihrem Amtsantritt versprochen, daß jeder seine Muttersprache sprechen dürfe, daß die kulturelle Identität der Kurden garantiert werde. Im Regierungsprogramm steht, daß sich die Türkei an die Beschlüsse der KSZE halten wird. Demirel hat auf seiner Reise im Südosten die „kurdische Realität anerkannt“. Er hat versprochen, daß die Rechte dieser „ethnischen Gruppe“ gewahrt würden. Aber das Versprechen ist nicht im geringsten erfüllt worden. Ich glaube, wenn man auch nur einen Teil dieser Versprechungen in die Praxis umgesetzt hätte, wäre es nicht zu den schrecklichen Vorfällen heute gekommen.

Bedeutet eine politische Lösung auch die Legalisierung der PKK?

Ja. Ich sage das ganz offen. Die PKK hat jüngst in mehreren Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, daß sie nicht die Abtrennung des kurdischen Ostens von der Türkei wünscht. Der Staat sollte zusehen, daß die PKK Teil des demokratischen Lebens in der Türkei wird.

Türkische Kommentatoren behaupten, daß Ihre Partei nur ein verlängerter Arm der PKK sei.

Wir repräsentieren die Mehrheit der Kurden und sind eine legale Partei. Auch die PKK ist aus der Mitte des kurdischen Volkes entstanden. Doch die Methoden der PKK — sie führt einen bewaffneten Kampf — sind andere als die unserer Partei. Von Zeit zu Zeit sagen wir und die PKK allerdings das gleiche. Schließlich geht es um die Freiheit des kurdischen Volkes. Wenn sowohl die PKK als auch wir etwas Richtiges sagen, heißt das noch nicht, daß wir organische Verbindungen zur PKK haben.

Die Regierung ist Ende vergangenen Jahres mit einem Demokratisierungspaket angetreten. Demirel hat von „Anerkennung der kurdischen Realität“ gesprochen. Die kurdischen Abgeordneten, die aus Ihrer Partei kommen, wegen der Nichtzulassung der HEP aber auf Listen der Sozialdemokraten ins Parlament gewählt wurden, haben der Regierung das Vertrauen ausgesprochen. Können diese Abgeordneten nach dem Newroz-Massaker diese Regierung noch unterstützen?

Unsere Partei und unsere Abgeordneten, die in der Fraktion der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ sind, unterstützten in der Tat die Regierungskoalition, die ja gutwillige Absichtserklärungen abgab. Doch die demokratische Wende wurde in Blut getaucht. Statt einer politischen Auseinandersetzung hat die Regierung die Lösung der Kurdenfrage auf militärischem Weg versucht. Man kann dieser Regierung nicht mehr vertrauen. Wir werden als Partei unsere Unterstützung einstellen. Das gleiche gilt für unsere Abgeordneten im Parlament. Einer unserer Abgeordneten hat am ersten Tag des Newroz-Festes dem Ministerpräsidenten einen Strauß Blumen überreicht. Zur gleichen Zeit schoß man mit Kugeln auf das kurdische Volk. Der Dank für die Blumen waren Kugeln.

Die Mehrheit der Kurden lebt nicht in Türkisch-Kurdistan, sondern im Westen der Türkei. In den türkischen Großstädten gehen Bomben hoch. Erstmalig formiert sich auch in der türkischen Bevölkerung eine nationalistische Stimmung gegen die Kurden. Wird es zu einem kurdisch-türkischen Bruderkrieg kommen?

Ich glaube, es gibt Machtzentren im türkischen Staatsapparat, die nationalistische Tendenzen unter den Türken schüren wollen. Wir wollen das Gegenteil. Wir wollen eine feste Grundlage für die Brüderlichkeit der Völker. Eine Einheit, die auf der Gleichheit der Völker und einem freiwilligen Zusammengehen beruht. Ansonsten drohen Völkerhaß und Zustände, wo man sich gegenseitig die Gurgel durchschneidet. Dies ist zum Schaden beider Völker. Kein Volk kommt als Sieger dabei heraus. Interview: Ömer Erzeren