: Im Theaterfieber
■ Das 4. Theatertreffen der Volkshochschulen im Theater der Freundschaft
Schon so manches Talent wurde sinnlos an eine volle Badewanne verschwendet. Wo Badewannen doch völlig unmusikalisch sind. Da aalt man den Luxuskörper gekonnt im Seifenschaum, und eine Stimme, die Janis Joplin das Neiden gelehrt hätte, verklingt ungehört zwischen Musterkacheln und beschlagenem Alibertschränkchen.
Aber kaum fällt die Badezimmertür ins Schloß, hält der übliche verhärmte Beamtenblick, die gewohnte Nörgelstimme, die alte Erbsenzählermentalität wieder Einzug. Dabei war man doch gerade noch ein ganz anderer Mensch gewesen, so urplötzlich frühlingshaft beflügelt, ein richtiger Star halt eben.
Es ist schwer genug, als kleines Licht sein Dasein zu fristen, aber sein Talent als bestgehütestes Geheimnis mit sich herumzutragen, grenzt geradezu an Unmoral. Solche bislang verhinderten Genies auf die Bretter zu hieven, die die Welt bedeuten, ist seit jeher das Privileg der Volkshochschulen.Mit einem Angebot vom Malkurs über die Volkstanztruppe geben sie Nachhilfeunterricht in Sachen Coming-out. Dabei geht es gerade nicht darum, neue Stars zu kreieren, sondern das kreative Potential des einzelen zuerschließen. Der Verdienst, den sie damit einer Gesellschaft in punkto Lustgewinn, Kommunikationsförderung und auch Imagekorrektur liefern, läßt sich nicht in Münzen und schon gar nicht mit den bürgerfreundlichen Kursgebühren aufwiegen.
Einen Einblick in das Schaffen an der Volkskultur liefert das 4. Theatertreffen der Volkshochschulen, das am vergangenen Dienstag im Theater der Freundschaft (TdF) Premiere feierte. Erstmalig im Ostteil dieser Stadt und mit den frischbackenen Gruppen aus den »neuen Bezirken« (immer dieser westnozentrische Blickwinkel), hält das Treffen noch bis am Sonntag seine Tore den hoffentlich einfallenden Zuschauermassen offen — bei über dreißig Welturaufführungen geradezu ein Festival der Superlative. In Zusammenarbeit mit dem TdF drängen die eifrigen Missionare in Sachen »Alle Kultur dem Volke« unter Regie von Herrn Hölters in neue Gefilde vor. Es gilt, den Nahen Osten Berlins volkshochschuladäquat zu erschließen, denn auch der Sozialismus produzierte seine Badewannenhelden. Hier wäscht eine Hand die andere, denn die Leute vom TdF, die großzügig Bühne, Licht und Personal zur Verfügung stellten, erhoffen für die hausinternen Produktionen (und das sind einige) eine Erweiterung ihres Kundenkreises aus westlichen Beständen.
Die Eröffnung des Treffens verläuft angemessen volkstümlich. Ob der Dienstag mit seinem trüben Großstadtwetter dran schuld ist — in den Weiten des Theatersaals verlieren sich keine fünfzig Zuschauer. Frohe Worte der Honoratioren zum Lampenfieber ihrer Schützlinge, dann gehört die Bühne dem »Tanztheater Seitensprung« aus Wilmersdorf. Männerballett im orangefarbenen Tutu, Südseeträume mit Badeanzug und Bootfahrerpantomime, eine Phantasiereise in die Wichtelwelt, kurz ein buntes Programm mit diversen Gesangseinlagen vom Band. Eine halbe Stunde später wartet bereits die nächste Überraschung: das »Tanztheater Ur-Sache« mit ihrem Stück: Schumania, eine absurde Charakterstudie mit einem Berg abgelegter Schuhe.
Daß Kulturarbeit keine Erfindung des Kapitalismus ist, weiß Burkhard Steinke von der neugegründeten VHS Mitte zu berichten. Zu realsozialistischen Zeiten fand sie in den öffentlichen Kulturhäusern statt, und jeder volkseigene Betrieb pflegte sein kleines Salontheater. Mit der Implosion der DDR waren sie die ersten, die aus den vom Kollaps bedrohten Kombinaten flogen, denn wie jedes Kind weiß, insbesondere das sozialistisch geschulte, kommt erst das Fressen und dann die Kultur. Einige staatsgeförderte Projekte, wie beispielsweise das »Kleine Theater« aus dem »Haus der Jungen Talente«, konnten durch die Umdisponierwilligkeit ihrer Akteure in die schöne neue Welt hinübergerettet werden. Einst Schauspieler, nun Volkshochschullehrer, wo gehobelt wird, fallen halt Späne.
Selbstgeschriebene Stücke und Klassisches, Tanz, Zirkus und Puppentheater, das Repertoire des Treffens ist schier grenzenlos. Am Samstag und Sonntag ist Tag der offenen Tür, mit Schnupperangeboten für die ganze Familie. Ab 15 Uhr ist bei freiem Eintritt von Schminken und kleinen Auftritten im Foyer so ziemlich alles geboten, was einen Nachmittag im Kreise der lieben Verwandtschaft zum Erlebnis macht. Antje Braunschweig
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