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PRESS-SCHLAGDer potentielle Fußballer

■ Jürgen Klinsmann, deutscher Mittelstürmer von Inter Mailand, denkt über die weißen Kalklinien hinaus

Ein Traum, so richtig nach dem Geschmack der 'Gazetta dello Sport‘, Mailands Bla-Blatt aus Tausendundeiner Fußballnacht. Da erstens Marseilles Wunderstürmer Jean-Pierre Papin zu Milan wechselt und Inter Mailand zweitens den mazedonischen Mittelstürmer Darko Pancev von Roter Stern Belgrad abwirbt, kommen Olympique-Marseille-Präsident Bernard Tapie und Internazionales Pellegrini auf einen naheliegenden Gedanken: Jürgen Klinsmann, schwer in der Kritik stehender Geislinger in Inter-Diensten, wird mit der nächsten Galeere gen Marsiglia verschickt! Allerdings, einen klitzekleinen Haken hat die geniale Idee, den die 'Gazetta‘ bedauernd zu Bedenken gibt: „Ein schönes Problem. Klinsmann ist ein Junge mit festen Prinzipien. Ihn zu überzeugen, wird nicht leicht sein.“

Im idyllischen Ivrea, tief in Piemont, trifft man im Quartier der deutschen Nationalmannschaft auf einen Jürgen Klinsmann, der jene gazettalen Befürchtungen bestätigt: „Von allem, was irgendwo geschrieben steht“, sagt der Blonde in Anspielung auf die sich überschlagende italienische Presse, „interessiert mich nur das Niedergeschriebene in meinem Vertrag.“ Und jener sei eben erst bis 1994 verlängert worden. Basta!

Allerdings ist Klinsmann längst nicht so blauäugig, wie es seiner Haarfarbe geziemte: „Seit ich in dem Job bin, habe ich immer gewußt, daß die Konsequenzen von einem Tag auf den anderen gezogen werden können.“ Moment mal. Job sagt er? Nicht Berufung? Schönstes Hobby? Blablabla?

Anders sei der Bäckergeselle von der Schwäbischen Alb, anders als andere aus dem Balltretergewerbe, so hat es immer und oft mit vorwurfsvollem Unterton geheißen. Das mag stimmen, wenn man seine Andersartigkeit darin definiert sieht, daß er die Grenzen seines Lebens nicht mit weißen Kalklinien gezogen hat. Für den 27jährigen gibt es im Gegensatz zu manch anderem Maier oder Beckenbauer nicht nur ein Leben nach, sondern auch ein Leben mit dem Fußball. Und wenn Klinsmann also die uralte und eigentlich abgedroschene Geschichte vom anderen Land als geistige und kulturelle Herausforderung erzählt, so ist dies in seinem Fall wohl nicht nur Gerede. Klinsmann ist zufrieden mit seinen Jahren in Italien: „Ich habe versucht, mich an eine andere Lebensart anzupassen, und ich glaube, es ist mir gelungen.“

Klar spricht der „Fußballer des Jahres 1988“ ein gutes Italienisch, und seine Wurzeln im Inter-Team liegen bestimmt nicht in der näheren Umgebung des ebenfalls fließend, allerdings fränkisch plappernden Lothar Matthäus. Mit Kritik an Inter hält Jürgen Klinsmann sich zurück. Er habe insofern schlechte Karten, als es für ihn in der derzeitigen Inter-Elf schwer sei, das von ihm verlangte Argument für einen Einsatz im Nationalteam zu liefern, Tore nämlich. Doch das ist schon das Höchste, was der Schwabe sich erlaubt. Ansonsten hält er es mit Uwe Bein, der zum Frankfurter Theater nur noch lapidar feststellen mag, das Ganze interessiere ihn inzwischen überhaupt nicht mehr.

Eines darf aber bei aller Abgeklärtheit des Jürgen K. nicht vergessen werden: Der Junge liebt den Fußball! Ein Platz auf der Ersatzbank sei für ihn weniger Renoméeverlust, das Problem liege vor allem darin, daß er dann nicht spiele. „Die Medienszene“, weiß der in Italien mit drei täglich erscheinenden Sportzeitungen Gestrafte, „eskaliert doch total.“ Ob italienische oder auch deutsche Gazetten ihm das Prädikat „Weltklasse“ verliehen oder wieder entzögen, sei ihm wurscht. „Ich will Fußball spielen.“

Will, muß aber nicht. Klar schätzt er Inter weiter als „eines der Fußballaushängeschilder in Europa“, für das man an drei Jahre ruhig noch ein oder zwei anhängen würde, aber Klinsmann weiß eben auch, daß der UEFA-Pokalsieger von 1991 für diesen Zeitraum und die verwöhnten Interistas reichlich mager daherkommt.

Klar will er auch seinen Platz bei Berti zurück, und nach dem Italienspiel erzählt er, der Bundestrainer sei mit seiner Leistung in den zweiten 45 Minuten zufrieden gewesen und habe ihm eine baldige Chance von Anfang an in Aussicht gestellt. Vielleicht bereits in Prag nächsten Monat.

Aber, und das ist, so die Geschichte stimmt, das Schöne an ihr: Jürgen Klinsmann, zwar erst 27 Jahre alt, aber mit einigen Hundejahren darunter, die ihm vielleicht sogar im Gesicht abzulesen sind, weiß, daß das Leben ihm viele Möglichkeiten offenhält. Der Fußball ist nur eine davon. Peter Unfried

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