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Welches Ende erleben wir jetzt?

Münchens 3. Internationale Frühjahrsbuchwoche als „Höhepunktsereignis“  ■ Von Michael Langer

Unter dem Gewölbe, gleich neben dem Eingang zum Alten Rathaus, stehen jede Menge geköpfter Flaschen. Dazwischen liegen schnarchend die Penner, eine Wolke aus Absinth. Vor dem Knäuel aus Schlafsäcken und Plastiktüten steht ein Schild: „Alle Macht den Kindern.“ Über dem Gewölbe, im Alten Rathaussaal, stehen die Repräsentanten und Gäste der Stadt, die Vertreter des „literarischen Lebens“, die Köpfe des Kulturreferats. Bei einem Glas Wein dampft die Wolke aus Glückseligkeit.

„Ein Höhepunktsereignis, das seinesgleichen sucht!“ — mit dieser bemerkenswerten Wortneuschöpfung hatte Münchens (Kultur-) Bürgermeister Christian Ude die 3. Internationale Frühjahrsbuchwoche der bayerischen Landeshauptstadt eingeläutet. Man hatte sich wahrlich nicht lumpen lassen und für diese Woche einen Etat von 300.000 Mark beschafft, während man sonst das ganze Jahr über für Autorenlesungen in den verschiedenen Buchhandlungen der Stadt ganze 30.000 Mark berappen will. Für solch ein kurzes, aber spektakuläres belletristisches Feuerwerk — das der Literatur gerade nur so weit dient, wie es der Pflege kommunalpolitischer Eitelkeit gereicht — ist dann auch die Verlagsgruppe Bertelsmann zu haben gewesen und steuerte zum Etat 100.000 DM bei — streng nach der Devise: Standort-PR. Oder wie es einer der Bertelsmänner formulierte: In Gütersloh kennen uns alle, in München sei das noch nicht der Fall.

Sozusagen als Höhepunkt des „Höhepunktsereignisses“ war ein Literatursymposion angesetzt unter dem Titel: Der Sturz der Propheten — Literatur im Umbruch. Geladen wurden natürlich internationale Größen der Literatur, zwölf an der Zahl: neben Tschingis Aitmatow (als Schirmherr der Veranstaltung) waren das unter anderem Andrzej Szczypiorski (Polen), Milorad Pavic (Jugoslawien), Ismail Kadare (Albanien), Maria Alice Barroso (Brasilien) und die Ägypterin Nawal El Saadawi. Das Thema des sog. Symposions allerdings hatte mit Literatur soviel zu tun wie der FC Bayern mit dem Kampf um die deutsche Fußballmeisterschaft. Erörtern wollte man, so die Veranstalter, die „mögliche(n) Neuorientierung respektive eine(r) Sprachlosigkeit der Literatur angesichts des weltweiten politischen, sozialen, ökologischen und ideologischen Wandels“.

Tschingis Aitmatow eröffnete den Reigen eines knapp dreitägigen Veranstaltungsmarathons, wobei er wenig Neues verkündete: etwa, daß es einen sozialistischen Realismus gegeben habe, daß die postmoderne Avantgardeliteratur des sowjetischen Undergrounds von damals heute zu den gängigen Trends gehöre. (Dann hätte man sich doch etwa auch einen Vertreter dieser neuen Generation bei dieser Buchwoche gewünscht?) Altbekanntes referierte auch Mario Vargas Llosa über „Die Wahrheit der Lügen“ in der Literatur, samt seines bekannten, trivialen Aufgusses der Popperschen geschlossenen und offenen Gesellschaften. Und auch ein Jesus Diaz verbreitete — wie die meisten im Gegensatz zu ihren Qualitäten als Schriftsteller — als Redner (über den Eintritt Lateinamerikas in die Weltliteratur) Langeweile.

Womöglich lag es also doch am so allgemein politisch-zeitgeschichtlich gehaltenen Thema, mit dem man die Schriftsteller vom Schreibtisch wegholte und zu entsprechenden Äußerungen zwingen wollte? Und vielleicht war es gerade deshalb so bewegend wie sonst nur auf einer glatten Funktionärsversammlung?

Umso erfrischender war es da, als der Russe Andrej Bitow, erklärtermaßen aus seiner Arbeit an einem neuen Roman heraus, der von den Veranstaltern behaupteten Krise der Literatur gewitzt begegnete: Allein im letzten Jahr sei es ihm mehrmals vergönnt gewesen, „der Beerdigung einer menschlichen Bewußtseinskategorie beizuwohnen. Mal war es das... Ende der Geschichte, dann wieder das Ende der Ideologie, mal sogar das Ende der Reflexion“, und alles „unter dem gemeinsamen Vorzeichen vom Ende des Jahrhunderts... Und welches Ende begehen wir jetzt in München?“

In München erlebten wir jedenfalls das Scheitern eines sog. Symposions. Michael Krüger (neben Antje Kunstmann und Tilman Spengler eines von drei Mitgliedern eines Präsidiums, das sich in der Hauptsache auf das beschränkte, worum es offensichtlich überhaupt ging, nämlich: zu repräsentieren) begrüßte am zweiten Tag das Publikum im halbvollen, „ausverkauften“ Alten Rathaussaal sinnigerweise bereits zum „Seminar“.

Gemurrt hatte ein Teil des Plenums, vor allem aber waren die Autoren selbst unzufrieden, wie es schien, denen die gehetzte Abfolge von Referaten und nachfolgendem kurzem Zwiegespräch mit einem/r ausgewählten PublizistIn zu mager war. Michael Krüger bemerkte treffend, der Meinungsaustausch, den die Autoren abends im Hotel betreiben könnten, wäre natürlich besser in der Öffentlichkeit aufgehoben. So versuchte man zu retten, was zu retten war: relativ wenig Dialog im dichtgedrängten Programm.

In den Kaffeepausen, wo der literarische Münchner Weltgeist sich auslüften durfte, begannen mittlerweile viele Germanisten und Literaturliebhaber sich zu ärgern, überhaupt gekommen und damit den Veranstaltern schließlich doch auf den Leim gegangen zu sein. Man schüttelte die Köpfe, während die Organisatoren diesselben zusammensteckten, in professioneller Fehleinschätzung der Lage: über den Wolken.

Indes plauderte der Teheraner Dichter Mahmud Doulatabadi, der einen düsteren, poetischen, mutigen Text über die heillose Stimmung in seiner Heimat vorgetragen hatte (was einigen Sensationssüchtigen zu viel verschlüsselter Text und zu wenig knackiges Politstatement in Sachen Rushdie und Fundamentalismus war), über seine Erfahrungen mit einem realexistierenden Kulturreferat. Irgendwie hatte man es versäumt, rechtzeitig seinen Flug zu buchen, so daß er zu früh in Frankfurt ankam, wo er sich dann drei Tage auf eigene Kosten aufhalten durfte. Enttäuscht, aber geübt im Erdulden, bläst der Dichter Zigarettenrauch durch die Nase, lächelt gezwungen, schweigt und verschwindet im Qualm.

Wolkig und mit dem nötigen Stirnrunzeln über die ach so tiefen sekundären Fragen röchelte das „Seminar“ seinem Ende entgegen. Erst Cees Nooteboom, der einen fulminanten Schlußpunkt setzte, entschädigte für die zahllosen Scheindebatten, indem er als Dichter das vorgebliche Thema ernst und die verblasenen Fragen der Veranstalter beim Wort nahm. „Denn was könnte einer wie ich“, so Nooteboom, „schon auf die Frage antworten, ob politische Veränderungen und ökologische Katastrophen für die Literatur ,von irgendwelcher Bedeutung‘ sind? Von irgendwelcher Bedeutung? Meine geflüsterte Antwort darauf, sehr geehrte Damen und Herren, würde lauten: Alles ist von Bedeutung für die Literatur... Den einen (Schriftsteller) lassen politische Veränderungen kalt, er schreibt über einen toten Hund am Straßenrand, den anderen lassen tote Hunde kalt, und er schreibt über den Gulag oder über einen Keks, den er vor dreißig Jahren gegessen hat. Glauben Sie eigentlich an die Literatur? Dann hätten Sie die Frage vielleicht andersherum gestellt, etwa so: ,Inwieweit hängt die Wirklichkeit von der Literatur ab?‘ Das geht reichlich weit, finden Sie, und dennoch: ohne Homer kein trojanischer Krieg, ohne Balzac keine französische Bourgeoisie des 19.Jahrhunderts, ohne Musil kein k.u.k., und umgekehrt.“

Aber, so steht zu befürchten, auch zehn oder hundert Nootebooms würden nicht ausreichen, in Zukunft die Kulturbürokraten von ihren „events“ abzubringen. Wie wäre es stattdessen, wenn man die 300.000 Mark (plus die 100.000 DM von Bertelsmann) langfristig investierte und (zusammen mit den regen, gescheiten, aber relativ mittellosen Literaturveranstaltern am Ort) das ganze Jahr über München mit hochkarätigen Lesungen von Autoren aus aller Welt versorgte? Da ginge es ja wirklich um Literatur. Literatur aber ist ein stilles Geschäft, nicht „meßbar“, nicht zu verbuchen als „Erfolg“, den ein Kulturpolitiker braucht. Auf dem sog. Symposion klatschten die Organisatoren noch einem Raymond Federman zu, als der vom letzten Widerstand der Literatur gegen das Fernsehen philosophierte. Bald schon wird die Stadt München zum zweitenmal den Nonsense ihres mit 15.000 DM dotierten Preises Literavision „für besonders gelungene Fernsehbeiträge, die sich mit Literatur beschäftigen“ mit lautem Gedöns verbreiten, wie immer in der bekannten glückseligen Wolke aus Selbstgefälligkeit.

Vor kurzem ist ein bemerkenswertes Buch des jungen Autors Helmut Krausser erschienen. Es ist ein München-Roman, und der spielt unter Berbern. Der zwingende Titel: Fette Welt.

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