Der Zwiebeleffekt

■ Wußte die sozialliberale Koalition von Anfang an von der RAF-Basis in der DDR ?

Der Zwiebeleffekt Wußte die sozialliberale Koalition von Anfang an von der RAF-Basis in der DDR?

Die Suche nach der „wahren“ Geschichte der RAF wird dem Entblättern einer Zwiebel immer ähnlicher. Kaum ist die eine Schicht abgezogen, kommt die nächste zum Vorschein. Der Vorgang kann, bis das tränende Auge endlich des Innern ansichtig wird, fast beliebig oft wiederholt werden. Alle, die sich an der Aktion beteiligen, tun gut daran, sich gegen den beißenden Gestank zu schützen. Er vernebelt die Sinne. Besonders gefährdet sind jene Zwiebelschäler, die glauben, auf halbem Wege klarzusehen, während doch alles längst hinter einem Schleier aus Desinformation und Verdunkelung verschwimmt.

Die nun aus US-amerikanischen Geheimdienstkreisen über den Großen Teich herübergewehten Nachrichten bergen zweifellos einen besonderen Reiz. Aber machen sie auch Sinn? Trifft die Geschichte so zu, wie sie nun vorliegt, dann hätte in letzter Konsequenz die absolut härteste Fraktion unter den Verschwörungstheoretikern recht behalten. Die wußte immer schon, daß der repressive Staat die RAF braucht so wie der Mensch die Luft zum Atmen. Also hält „der Staat“ sich eine kleine Gruppe bewaffneter Desperados, sozusagen als Stabilisierungsfaktor gegen legale Fundamentalopposition. Denn was bedeutete es anderes, wenn Schmidt & Co in die Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre aufblühende RAF-Stasi-Waffenbrüderschaft eingeweiht waren — und buchstäblich nichts gegen diese Verbindung unternahmen?

Bis gestern jedenfalls konzentrierten sich die investigativen Enthüllungsbemühungen stets ausschließlich auf die Frage, ob die Regierungsspitze bereits Anfang der achtziger Jahre über die DDR als Refugium für abgeschlaffte RAF-Kämpfer im Bilde war. Wäre es so gewesen, hätten die Verantwortlichen mit ihrem Stillhalten eine politische Klugheit an den Tag gelegt, die ihr gerade auf diesem Terrain kaum jemand zutraut. Sie hätten damals schon verstanden, was sich erst in jüngster Zeit zögerlich in den Gehirnzellen der Bonner Politspitze breitzumachen scheint: daß sich nämlich die Kraft der RAF praktisch ausschließlich aus den Hochsicherheitstrakten der Knäste speist. Zehn zusätzliche Gefangene und zehn weitere Prozesse nach Stammheimer Landrecht hätten zweifellos den bewaffneten Kampf beflügelt und größeren Schaden angerichtet als die Umsiedlung der Aussteigergruppe hinter den Eisernen Vorhang. Ganz abgesehen von der persönlichen Tragödie, der die Betroffenen so — viele Jahre — entgingen. Wohlgemerkt, wäre es so gewesen, man hätte die Verantwortlichen lediglich dafür schelten können, daß sie das Nichtstun von damals heute nicht offensiv vertreten.

War es so, wie es der ehemalige US-Geheimdienstkoordinator in Bonn nun aller Welt locker erzählt (was veranlaßt ihn eigentlich dazu?), dann steht allerdings ein heißer Tanz bevor. Denn dann hätten höchste Regierungsstellen der sozialliberalen Koalition seinerzeit nicht nur vom RAF-Pensionat in der DDR gewußt, sondern auch von deren militärischer Basis im Lande Erich Honeckers. Dann hätte der Staat, im Innern bis an die Zähne gegen die zwei Handvoll RAFler hochgerüstet, einfach zugesehen, wie sie ihre Anschläge auf DDR- Schießplätzen üben. Das Ganze, um die auch beim Wahlvolk wohlgelittene Ostpolitik über die Runden zu retten. Nichts ist unmöglich. Aber hätten in diesem Fall die Amerikaner stillgehalten, auch dann noch, als 1981 ein RAF-Kommando den Kofferraum des Dienstmercedes, in dem General Frederik Kroesen saß, mit einer Panzerfaust zerlegte? Es wird Zeit, daß die Verantwortlichen von damals aus der Deckung kommen. Auch damit das Zwiebelschälen ein Ende findet. Gerd Rosenkranz