: Weltmusik? Piraterie!
■ Auf der Tagung: eine taz-Rundfrage zur westlichen Gier auf aller Welt Musik
Seit schon jede Tanzkapelle sich mit tasmanischen Bukule-Klappern behängt, seit Punk-Combos zwischen E-Dur und a-moll gerne mal pentatonische Skalen jaulen lassen, redet alle Welt von „Weltmusik“. Vor allem Jazzmusiker durchstreifen inzwischen die letzten Winkel des Planeten auf der Suche nach neuem musikalischem Material.
Der Komponist Karl-Heinz Stockhausen hatte schon 1973 seine Utopie einer zukünftigen Weltmusik formuliert: „Jeder Mensch hat die eigene Menschheit in sich. Ein Europäer kann balinesische Musik erleben, ein Japaner Musik aus Mozambique, ein Mexikaner indische Musik... Ein bestimmter Mensch kann beim Erlebnis einer musikalischen Aufführung in einer ganz anderen Kultur auf eine Weise erschüttert und glücklich sein, daß ihm zumute ist, als hätte er etwas lange Verschollenes und Vergessenes wiederentdeckt.“
Dagegen nannte der Musikwissenschaftler Peter Niklas Wilson während der Tagung beispielsweise den modernen „Ethno-Pop“ schlicht einen „neokolonialistischen Kulturwarenhandel“. Die taz fragte bei der Gelegenheit drei Komponisten aus Israel, Mexiko und Slowenien nach ihrer Meinung.
Yuval Shaked (Israel): In Israel sind mir Aussagen in dieser Richtung noch überhaupt nicht begegnet. Ich glaube, daß die Israelis wohl verstehen, daß über Weltmusik überhaupt erst geredet werden kann, wenn Frieden ist. Die Utopie Weltmusik klingt für schön, aber gefährlich. Wenn sie die Existenz der einzelnen gewährleisten kann, dann o.k., aber ich fürchte, das ist unmöglich.
Julio Estrada (Mexiko): Ich denke, das ist die Realität, daß die Leute so etwas machen. Das geschieht oft in Lateinamerika, bei jungen japanischen Komponisten, auch bei Europäern, die außereuropäische Instrumente benutzen, und das schon seit dreißig Jahren. Ich selber habe gar kein Interesse, traditionelle Instrumente oder so etwas zu benutzen. Ich betrachte die Musik des amerikanischen Kontinents bloß als eine Wahlmöglichkeit neben anderen.
Vinko Globokar (Slowenien): Ich bin sehr allergisch gegen diese touristische Art von Handeln. Es hat ein bischen zu tun mit — man sagt auf deutsch: Piraterie. Die Idee einer Welt-Mischung ist eine totale Utopie. Das ist wirklich eine kommerzielle Angelegenheit: Man will allen das Gefühl geben, daß alles in Ordnung ist. gesammelt von Wilfried Wiemer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen