: Der Flächenfraß in Berlin und um Berlin herum
Der Flächenfraß in Berlin und um Berlin herum
In den letzten Jahrzehnten hat die Wohnungspolitik in West-Berlin immer weniger EinwohnerInnen immer besser mit Wohnfläche versorgt.
Um unsere durchschnittliche Wohnflächenversorgung von 1968 bis 1987 von 28,6 m2 auf 37,1 m2 pro Kopf zu erhöhen, mußten knapp 260.000 Wohnungen gebaut werden. Würden die Ost-BerlinerInnen das 7 m2 höhere West-Niveau erreichen und wir alle zusammen bis zum Jahre 2000 mit dem gleichen Tempo weitermachen, dann müßten jährlich 20.000 Wohnungen gebaut werden, errechnete der TU-Soziologe Wolfgang Serbser. Und damit hätte noch kein einziger Neu-Berliner eine Wohnung.
Eine solche Wohnungspolitik wäre nicht nur unbezahlbar, sondern auch eine ökologische Katastrophe, gleichgültig, ob die Wohnungen in Berlin oder um Berlin herum gebaut würden. Da eine solche Wohnungspolitik außerdem die Bezieher hoher Einkommen stark bevorzugt — deshalb haben wir trotz Wohnflächenzunahme Wohnungsnot — wäre sie auch unsozial.
Dennoch bleibt alles beim alten. Politiker und Lobbyisten übertreffen sich gegenseitig mit Wunschzahlen für den Neubau. Und die Bundesbauministerin verschiebt die Gewichte weiter zugunsten der Eigentumsförderung, so daß diejenigen, die jetzt schon überdurchschnittlich mit Wohnraum versorgt sind, noch mehr staatliche Gelder erhalten, um sich durch besonders boden- und wohnflächenintensive Wohnformen weiter zu verbessern.
Einige wenige mahnen zur Wende. Durch wesentlich höhere Mieten könnte der Wohnflächenkonsum eingeschränkt werden, sagen die einen. Doch dies würde einseitig die Geringverdienenden belasten. Wer viel Geld hat, würde sich weiter ausbreiten können. Und die Wohnungseigentümer, jetzt schon überversorgt, blieben unberührt. Deshalb schlagen andere vor, durch eine Wohnflächensteuer, eine Mischung aus Wohngeld und Fehlbelegungsabgabe, die Haushalte je nach Größe und Einkommen zu subventionieren beziehungsweise zu belasten. Schon der immense bürokratische Aufwand, der dafür notwendig wäre, läßt diesen Vorschlag als wenig realistisch erscheinen.
Was vergessen wird, sind die positiven Aspekte der gestiegenen Wohnflächenversorgung. Diese erst ermöglichte, daß etwa Kinder ein eigenes Zimmer bekommen konnten. Rückzugsmöglichkeiten für alle Familienmitglieder in der eigenen Wohnung sind heute weit verbreitet. Hunderttausende sind auf größere Wohnungen angewiesen, um dort arbeiten zu können. Wichtige Errungenschaften unserer Lebensweise wurden und werden erst durch das Wachstum der Wohnfläche möglich. Angesichts des desolaten Zustands der öffentlichen Flächen und der prekären Ausstattung des Wohnumfelds ist eine gute Versorgung mit privaten Flächen für die meisten derzeit ohne Alternative. Hier zeichnet sich ein gesellschaftlicher Bedarf nach neuen Wohnweisen ab, die es erlauben, ohne einen Verlust an Lebensqualität das Wachstum des Wohnflächenkonsums zu verlangsamen.
Gefragt sind StadtplanerInnen, ArchitektInnen — und alle, die mehr Wohnfläche brauchen und keine grö0ere Wohnung bezahlen können. Mittlerweile liegt übrigens bei Selbsthilfegruppen und Neuen Genossenschaften ein beträchtlicher Schatz differenzierter Erfahrungen mit der gemeinschaftlichen und freiwilligen Nutzung von gemeinhin privaten Räumen, Erfahrungen, die wahrscheinlich zum Teil verallgemeinerbar sind.
Erst die Verbindung mit den allgemein erreichten sozialen Errungenschaften im Wohnbereich dürfte eine Einschränkung des Wohnflächenwachstums ohne Sozialdarwinismus und Öko-Autoritarismus ermöglichen.
Und in der Zwischenzeit? Viel wäre schon gewonnen, wenn die Förderung des Wohnungseigentums, die den Landschaftsverbrauch innerhalb und außerhalb der Stadt potenziert und die falschen fördert, zu Fall käme.
Dr.Max Welch Guerra (Fünf-Personen-Haushalt, 127 m2), Institut für Stadt- und Regionalplanung, TU Berlin. In der Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
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