Amerikanische Nacht

■ Das Rundfunkorchester Berlin spielte in der HdK Amerika-Evergreens

Fast erstaunlich, daß die Musiker noch im schwarzen Frack auf die Bühne kommen. Der weiße Smoking hätte die Sache besser getroffen. Was beim Konzert des Rundfunkorchesters Berlin unter dem Motto Melodie populär auf dem Programm stand, hätte in einen Tanzsaal oder ein Filmstudio gepaßt. Der nüchterne Konzertsaal der HdK stand jedenfalls in krassem Gegensatz zu Gershwin und den anderen Amerikanern, denen der Abend gewidmet war.

Mit George Gershwins Kubanischer Ouvertüre ging's los. Leider nicht sehr vielversprechend. Rhythmisch unprofiliert zu spielen, kann man sich bei diesem Stück nicht leisten, ohne daß es die Wirkung verliert. Und wenn es so behäbig daherkommt, dann fragt man sich, was das noch mit (Süd-)Amerika zu tun hat. Auch die anschließend gespielte Rhapsody in Blue litt unter viel zu breiten Tempi. Das ist keine Musik mehr, bei der man mitatmen kann. Schade. Hörenswert bei all dem war allein Alan Marks am Flügel. Seine Solopassagen sind gut durchdacht (am Anfang hätte er das Pedal allerdings weniger intensiv nutzen sollen). Er baut laszive Temposchwankungen ein, die einfühlsam bis an die Grenzen gehen. Es macht Spaß, dem zu folgen.

Alan Marks ist ein glaubwürdiger Pianist. Aufgesetzte Effekthascherei gehört nicht zu seinem Repertoire. Was er spielt, das empfindet er auch. Da wünscht man sich, ihn nicht nur mit dem millionenfach abgenudelten Gershwin zu hören.

Zu einer angenehmen Überraschung wurden die beiden Sätze aus der Grand Canyon Suite vom (unbekannten) Ferde Grofé. Programmmusik im besten Sinne des Wortes. Auf dem Wanderpfad hören wir Pferdegetrappel und eine verblüffend gut komponierte Schilderung von Natur und Weite. Das Violin-Solo am Anfang war zwar nicht sehr klangschön und sauber, dafür aber ließ es Assoziationen an den Wilden Westen zu. Weniger rauh klang da das Baßklarinettensolo. Auch der andere Satz (Wolkenbruch) gehörte zu den stärkeren Stücken des Abends. Nicht zuletzt, weil sich das Orchester dort wohler zu fühlen schien als bei Gershwin.

Wie Grofé aus den schwülen Geigenklängen des Anfangs unter Einsatz von Gong, Trommelwirbel, Glissandi in den Streichern und Klavier den anschwellenden Regen darstellt, das hat etwas Mitreißendes. Das ganze Stück ist ein einziges An- und wieder Abschwellen. Sicher ein nicht unbekanntes Darstellungsmittel in der Musikgeschichte, aber längst nicht immer so gelungen. Da erscheint der Dirigent Hans-Dieter Baum wie ein Fels in der Brandung, der im Sturm der Wasserwogen immer noch mehr anheizt. Bis alles zum Nieselregen schrumpft, um dann in leuchtenden Farben die Natur danach zu besingen. Schönes Stück, überzeugend musiziert.

Auch Hector Villa-Lobos kann Crescendi und Decrescendi komponieren. Eine gewisse Ähnlichkeit im Aufbau zum Wolkenbruch ist unüberhörbar. Diesmal jedoch geht es um einen Zug, vom Hörer unschwer zu erkennen (Schlagzeug, Bässe). In den großangelegten Geigenkantilenen zieht Amerika an uns vorüber. Ein Pacific in Kurzform.

Viel Lautstärke und rhythmische Ekstase in den Tänzen von Alberto Ginastera und Morton Gould. Die Musiker machen kein Hehl daraus, welche Passagen sie gerne spielen und welche sie langweilen. Sie lachen und unterhalten sich, ja sie grüßen sogar ihre Freunde im Publikum. Es herrscht eben eine familiäre Atmosphäre beim Konzert Melodie populär. Sabine Lange