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Die Treuhandanstalt bösgläubig machen

■ Die 19. Sitzung des Stadtforums: Investitionsprojekte in Friedrichshain/ Zu hohe Erwartungshaltung »killt« vorhandene Betriebe/ Stadtentwicklungssenator Hassemer (CDU) will »fleischfressende« Developer im Zaum halten

Berlin. Zur Steuerung innerstädtischer Investitionsprojekte, speziell im Ost-Berliner Stadtbezirk Friedrichshain, wird es immer dringender, zwingende Instrumente zu finden, um den Immobilienboom zu kontrollieren. »Statt einer geplanten Entwicklung wird die Stadt versaut«, kommentierte Alt-IBA-Chef Gustav Hämer auf der 19. Runde des Stadtforums den Developer- und Bau- Dschungel. Räumliche Strukturen gerieten in Gefahr, aufgebrochen und vernichtet zu werden, den angestammten Bewohnern und ansässigen Gewerbe- und Produktionsbetrieben drohe die Verdrängung ins Abseits.

Auf dem kleinen Berliner Bezirk mit einer Fläche von etwa zehn Quadratkilometer und rund 110.000 Einwohnern stehen beinahe sämtliche Industriestandorte, Bahn- und Brachflächen zur Disposition. Verfügungsberechtigte des Eigentums sind fast ausschließlich die Treuhandanstalt, das Land Berlin und die Reichsbahn. Teilweise wurden Grundstücksverkäufe durch die Treuhandanstalt bereits getätigt — man denke an den Verkauf von Narva. Auf einer Grundfläche von 430.000 Quadratmeter, erläuterte Hans Claussen von »Pro Stadt«, könnten anteilig 60 Prozent Büroflächen, 17 Prozent Wohnen und 23 Prozent Handel, Gewerbe und Hotels entstehen. »Bauliche Implantate, wie beispielsweise die geplanten Dienstleistungszentren an der Frankfurter Allee«, zerstörten die städtische Struktur. Räumliche Steuerungspotentiale könnten durch die konsequente Anwendung des Paragraphen 34 Baugesetzbuch, der »Art und Maß der Bebauung« festlegt, die schnelle Einrichtung von Grundstückspools und »Nutzungsleitlinien« sowie »Veränderungssperren« erreicht werden. Großprojekte wie der Gewerbepark an der Landsberger Allee dürften nicht allein auf ihren baulichen und ökonomischen Wert hin geprüft werden, so Claussen, zu fragen sei, ob eine Umstrukturierung zu Dienstleistungsbetrieben dort überhaupt die richtige Strategie darstelle.

Friedrichshain, das einen hohen Anteil von Industriestandorten besitzt, referierte der Bauökonom Ulrich Pfeiffer, werde sich als zentrumsnaher Bezirk langfristig zu einem hochwertigen Büro- und Dienstleistungsbezirk wandeln. Diese »Erwartungshaltung killt die noch funktionierenden Betriebe«, sagte Pfeiffer. Notwendig sei, »um die Balance noch etwas zu halten«, daß »freie Flächen und Grundstücke schnell sortiert und bebaut würden.« Nur mit dem Bau von Flächen könne der galoppierenden Grundstücksspekulation Einhalt geboten werden.

Das »Berliner Modell«, eine Einrichtung zwischen der Treuhandanstalt sowie den zuständigen Bezirks- und Senatsverwaltungen zur Verabredung innerstädtischer Grundstücksverkäufe, scheint immer mehr in eine Schieflage zu geraten. Die stadträumlichen, sozialen und volkswirtschaftlichen Prioritäten würden zugunsten rein privatwirtschaftlicher Interessen zurückgewiesen, sagte Volkmar Strauch (Industrie und Handelskammer). Für kleinere und mittlere Betriebe sei es fast unmöglich, beim Verkauf der ehemals volkseigenen Grundstücke mitzubieten. Die Kommune habe ebenfalls das Nachsehen. Eine Landesentwicklungsgesellschaft, die eine stadtweite Strategie gegen den Investorendruck bereitstellt, »um die fleischfressenden Tiere im Zaum zu halten«, so Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, werde gegründet. Einen Termin allerdings konnte der Senator nicht nennen. Immerhin würden Ortsanalysen vorbereitet. Ziel sei die »absolute Verteidigung« jeder Gewerbefläche. Hassemer weiter: »Umnutzungen wird es mit mir nicht geben. Wir müssen die Treuhandanstalt bösgläubig machen, damit sie nicht Grundstücke verkauft, auf denen wir planen wollen.« Auf dem Stadtforum wurde bekannt, daß das Grundstück für das geplante Ost-West-Handelszentrum am Moritzplatz verkauft werden soll — die jahrelange Planung des ökologischen Gewerbehofs steht somit in Frage. Rolf R. Lautenschläger

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