: Polnische Erwartungen an Bonn
Mit Lech Walesa besucht erstmals ein polnischer Präsident die Bundesrepublik/ Schuldenreduzierung gegen Umweltschutzinvestitionen/ Polen will auch „Zwangsarbeiterproblem in Erinnerung halten“ ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Seine kommunistischen Vorgänger hatten es allenfalls bis Ost-Berlin gebracht. Mit Präsident Lech Walesa, der gestern abend in Bonn eintraf, besucht zum ersten Mal ein polnisches Staatsoberhaupt die Bundesrepublik. Und so wird aus der Umgebung Walesas auch auf die symbolische Bedeutung des Besuches hingewiesen. Walesa wolle, so erklärte sein außenpolitischer Berater und Staatsminister Janusz Ziolkowski, mit dem Besuch ein neues Kapitel aufschlagen: „Öffnung und Abschluß“, wie er es nennt. Das rückwärtsgerichtete Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen solle abgeschlossen werden, ein neues, auf Zusammenarbeit und Versöhnung gerichtetes, aufgeschlagen werden.
Seine fünftägige Reise wird ihn nach Bonn, Bremen, München, Potsdam, Frankfurt/Oder und Berlin führen. In Bonn und der KZ-Gedenkstätte Dachau wird Walesa Kränze für die Opfer der Kriege und des Nationalsozialismus niederlegen. Neben Gesprächen mit deutschen Staats-, Regierungs- und Parteispitzen wird er am Dienstag auch mit Mitgliedern des Deutschen Industrie- und Handelstages zusammentreffen. Walesa wolle diese, so betont sein Sprecher Drzycimski, zu Investitionen in Polen anhalten.
Bereits wenige Tage vor seiner Reise wurde in Warschau ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, in dem die Bundesrepublik die im Rahmen der Verhandlungen mit dem Pariser Klub vor einem dreiviertel Jahr beschlossene Schuldenhalbierung der Staatsschuldner Polens umsetzt. Über die Eröffnung neuer und den Ausbau der bestehenden Grenzübergänge mit Deutschland herrscht inzwischen Einigkeit, die Finanzierung ist ebenfalls gesichert. Zwischen den Gemeinden entlang der gemeinsamen — inzwischen völkerrechtlich anerkannten — Oder-Neiße-Grenze ist eine rege Zusammenarbeit zustande gekommen. Alle wesentlichen Probleme, so heißt es, seien gelöst.
Trotzdem haben besonders die Minister, die Walesa begleiten, einige konkrete Wünsche in den Aktentaschen. Umweltminister Kozlowski möchte bei Finanzminister Weigel gerne eine weitere Reduzierung der polnischen Staatsschulden um 10 Prozent und ihre Umwandlung in Umweltinvestitionen zur Sprache bringen. Finanzminister Olechowski dürfte dagegen die hartnäckige Weigerung der kommerziellen Banken zur Sprache bringen, Polens 12-Milliarden-Dollar-Schuld zu vermindern. Der Löwenanteil der Schulden liegt bei deutschen Banken.
Deutschland ist in Polen bereits mit der höchsten Zahl an Auslandsbetrieben vertreten und nach dem Zerfall der Sowjetunion zum wichtigsten Handelspartner des Landes geworden. Dennoch klagen polnische Politiker immer wieder, das Engangement der Deutschen in Polen sei viel geringer als in der CSFR oder Ungarn. In diesem Zusammenhang werde möglicherweise auch die Frage Königsbergs zur Sprache kommen. Im polnischen Außenministerium steht man einer Ansiedlung deutscher Umsiedler aus anderen Teilen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten kritisch gegenüber; eine Freihandelszone unter deutscher und polnischer Beteiligung findet dagegen Zustimmung. In der polnischen Öffentlichkeit herrscht dagegen eine Art „Korridorsyndrom“, wie es ein deutscher Diplomat bezeichnet: Viele Polen fürchten ein Wiedererstehen Ostpreußens und der damit verbundenen historischen Probleme.
Die Zeiten, als die deutsche Minderheit in Schlesien zu Stolpersteinen in den deutsch-polnischen Beziehungen zu werden drohte, sind vorbei. Zum Zeichen dafür begleitet Walesa auch der Fraktionsvorsitzende der deutschen Abgeordneten im Sejm, Henryk Kroll. Zwar haben besonders Vertreter der Christnationalen, darunter der neue Innenminister Macierewicz und auch Premier Olszewski selbst, bisher mehrmals Anspielungen auf eine „Unterwanderung durch Geheimdienste in Schlesien“ und „Gefahren, die von Minderheiten für die Staatsraison ausgehen“, gemacht, doch haben die Vertreter der Minderheit dazu bisher keine Gründe geliefert. Sie unterstützten die Regierung Olszewski im Parlament oft selbst dann, wenn deren Vorlagen von der Mehrheit abgelehnt wurden. Mit Kroll reisen auch dessen ehemalige Gegenkandidatin Dorothea Simonides (ebenfalls aus Schlesien) und der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski nach Deutschland.
Ansprechen möchte Walesa in Bonn allerdings ein Thema, das von deutscher Seite mit der Gründung der deutsch-polnischen Stiftung bereits zu den Akten gelegt wurde: die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung. In die Stiftung hat die Bundesregierung bereits 500 Millionen DM eingezahlt — nun muß sich die deutsche Industrie allerdings auf „sehr diskrete Hinweise“, so Präsidentensprecher Drzycimski, gefaßt machen, sie möge doch auch ihren Obolus leisten. Ein Ansinnen, das die betroffenen Betriebe bisher stets von sich gewiesen haben. Man möchte, so Drzycimski, vor allem die moralische Dimension des Problems gewürdigt wissen.
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