: „Mit dem leisen Gang der Partisanen“
■ Made in Bremen: „Orte“, Monatsschrift für öffentliche Kunst gegen „Kakophonie aus Werbung und Verkehr“
Zeitschriften-Titel
„orte“
Die Nr. 1, von außen
Im Angesicht des sprudelnden Neptunbrunnens auf dem Bremer Marktplatz drängt sich die Frage ja geradezu auf: Wie sähe eigentlich ein moderner, an der Speerspitze des Zeitgeistes orientierter Metropolen-Brunnen aus? Wo könnten Stadtmütter und StadtplanerInnen solche Kunst ansehen? Welche Brunnenkünstler leben wo/sind namhaft? Es gibt bundesweit vielleicht eine Handvoll Leute, die einen da beraten könnten. Das soll sich jetzt ändern: Seit einer Woche gibt es „Orte“, eine Zeitschrift aus Bremen, die dem kümmerlichen Diskurs über „Kunst im öffentlichen Raum“ aufhelfen und in ihrer Re
daktion weltweite Informationen über diese Kunstgattung akkumulieren will.
Neben dem steifbeinigen Titel fällt auf, daß die Aufmachung angenehm die Kunst-am-Bau-Bräsigkeit und den Ämtermuff kontrastiert, die „Kunst im öffentlichen Raum“ immer noch anhaften. Das Äußere von „Orte“ haben Typographie/Design-StudentInnen der Hochschule für Künste um Fritz Haase gestaltet: gepflegte schwarze Balken halten Ordnung, schräge Typen huschen durchs Blatt, und auch mit den Fotos geht es manchmal bergauf. Es wurde, das sei dankbar erwähnt, auf Lesbarkeit geachtet.
Als Chefredakteur konnte der Kunsthistoriker Manfred Schneckenburger gewonnen werden, Leiter der documenta 6 und 8, Professor für Kunst und Öffentlichkeut an der Akademie Münster. In seinem programmatischen Beitrag „Nur Genauigkeit hat eine Chance“ bestimmt er den Platz der Künstler im Stadtbild neben Stadtplanern und Designern in einer verzweifelt-idealisierenden Beschwörung: Die Künstler bauten „Plastik als Störfall ein“, leisteten „Widerstand, so wie öffentliche Kunst sich früher in Übereinstimmung befand“, sie operierten „wie ein plötzlicher Überfall“ einerseits und hätten aber auch „den leisen Gang der Partisanen“. Schneckerburgers martialische Metaphorik erklärt ihrerseits den Krieg: der „optischen Umweltverschmutzung mit ihrer Kakophonie aus Werbung und Verkehr.“
Die Bremer Redaktion im „Forum“ in der Langenstraße betreibt mit ganzer Kraft Pit Mau, zur Redaktion gehören außerdem Jürgen Waller (HfK), Hans-Joachim Manske (Referent für Kunst im öfentlichen Raum) und der Ausstellungsmacher und Publizist Lothar Romain (Hannover). Das zentrale Anliegen von „Orte“ ist, eine kritische Diskussion um öffentliche Kunst anzuzetteln; unverzichtbar deshalb der „Kommentar“ und die Abteilung „Rezensionen“. Lothar Romain zeigt in seinen „Kommentar“ genannten freundlichen Erwägungen, wie es nicht geht: Viel Räsonnement über den Begriff „Möblierung durch Kunst“, eine sofort zurückgenommen Attacke gegen wechselnde Installationen und ein entschiedenes Plädoyer für das, was ohnehin dominiert: große Dauerkunst. Ein einziger Nebengedanke ist verfolgenswert: Der „Übermöblierung“ der Innenstädte sei nur mit dem Mut „zum Ausräumen“ von „Epigonalem und Belanglosem“ zu begegnen. Aber das „wäre mit viel Krach, wohl auch mit viel falscher Zustimmung verbunden“.
Vom Daniederliegen der (Kunst)Kritik - und also der Notwendigkeit von „Orte“ - zeugt auch der Rezensionsteil: Nett lesbare Objekt- oder Projektbeschreibungen, am Schluß das „Urteil“: Ein geglücktes Beispiel, wie Ikonographie nicht zur Illustration verflacht. / Ein Lichtblick für die öffentliche Kunst usw. usf.
Das erste Heft ist in einer Auflage von 20.000 erschienen und wird gratis verteilt. Adressaten sind in erster Linie Kulturpolitiker, Bau- und Gartenarchitekten und alle, die „in die Verlegenheit kommen, Entscheidungen über Kunst im öffentlichen Raum mitzutragen“ (Schreckenburger). Die Idee ist, eine Zeitschrift zu machen, die sowohl „Art“ wie auch „Bauwelt“ umfaßt. Auf eine Reihe von Rubriken darf man sich verlassen: auf den großen theoretischen Aufsatz, auf den Blick über die Grenzen (diesmal Frankreich: Pierre Restany über die Postmoderne), auf eine Monographie (hier: Dani Karavan mit seinen gewaltigen Envirements in Israel und Frankreich). Kulturpolitische Reportagen (Berlin und das Qualitätsgefälle bei öffentlicher Kunst von West nach Ost), ein historisches Beispiel (Kunsthistoriker Schneckenburger diesmal mit wenig Aufregendem über den „Marburger Reiter“), Neuigkeiten, Wettbewerbe, Ausschreibungen und („hoffentlich“) demnächst Leserbriefe: der Informationsgehalt von „Orte“ ist groß, manche Bleiwüste muß man sich aber erst erschließen. Ein Glanzlicht der eitle Designtheoretiker Michael Erlhoff über das Verhältnis von Design und Kunst am Beispiel des urban design: „Die Aura der Haltestelle“.
Aus gestalterischer Sicht erfreulich, aus Verlagssicht („Theater Heute“-Verlag Erhard Friedrich) ein Problem ist die Anzeigenlosigkeit von „Orte“, die noch als Projekt der HfK von einer „Anschubfinanzierung“ des Bildungsressorts von „über 200.000 Mark“ lebt. Es soll, so Manske, alles getan werden, daß die Zeitschrift „sich irgendwann weitgehend selbst trägt“. Bus
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