: Vorbildliche Fahrradstraßen
■ Zwölfjährige Bremer Erfahrung soll jetzt bundesweit Beispiel geben
Gelegentlich wird Verkehrsplaner Klaus Hinte vom Bremer Stadtamt auf Tagungen etwas schief angesehen. Wie denn, in Bremen dürfen Radler falsch herum in Einbahnstraßen hineinfahren? Ja, sie dürfen. Sie sollen sogar, denn: Die sogenannten Fahrradstraßen, das beweisen zwölf Jahre Erfahrung in der Hansestadt, sind unfallsicher und erhöhen den Wert des Verkehrsmittels Fahrrad.
„Wer sich sieht, fährt sich nicht um“, lautet die einfache Erklärung von Verkehrsplaner Hinte für den Erfolg der Fahrradstraßen. „Rad- und Autofahrer müssen sich hier auf engem Raum arrangieren, werden praktisch zum partnerschaftlichen Umgang miteinander genötigt.“ In der Herbststraße beispielsweise, einer der ersten von insgesamt 18 Bremer Fahrradstraßen, hat sich seit der Umwidmung der Anteil der Fahrradfahrer um 300 Prozent erhöht, Unfälle mit entgegenkommenden Autos: Null.
Verkehrsexperten sind lange Jahre davon ausgegangen, daß die Radwege die für das Fahrrad sichersten Wege sind. Alles Quatsch. „Umgenagelt wird nur auf den Nebenanlagen“, faßt Hinte die Unfallstatistik für Radfahrer zusammen. Gerade die Trennung der Verkehrsräume für Fahrrad und Auto habe der Rücksichtslosigkeit im Verkehr Tür und Tor geöffnet.
Das Argument der mangelnden Sicherheit hat einen zweiten, gravierenden Haken: Unfälle zwischen Autos und Radfahrern, die eine Einbahnstraße gegen die Fahrtrichtung fahren, werden in der Bundesrepublik statistisch unter der Rubrik „Benutzung der falschen Fahrbahn“ registriert. Das ist zum Beispiel die gleiche Rubrik, in der auch Geisterfahrer aufgeführt werden. „Eine statistische Aussage über die Unfallhäufigkeit läßt sich daher gar nicht machen“, sagt Hinte.
Die Rückkehr des Fahrrades in die Reihe der Verkehrsmittel wird langfristig eine Mischnutzung der Straßen zur Folge haben. In Bremen liegt der Anteil der Fahrräder unter den benutzten Verkehrsmitteln bei 22 Prozent. Das ist bundesweit absolute Spitze. Zum Vergleich: In Hannover liegt der Anteil der Fahrräder bei 16 Prozent, in München bei 12, in Stuttgart bei 6, in Essen bei 5, in Wiesbaden bei 4.
Damit das Bremer Beispiel Schule macht, hat der Bausenator zusammen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) die Bremer Erfahrungen jetzt in einer kleinen Broschüre zusammengefaßt. Darin steht, welche Möglichkeiten es gibt, die Straßen als Fahrradstraßen auszuweisen. Die Kommunen werden sich danach die Finger lecken, schätzt Horst Klöckner vom ADFC, denn „die Bremer Fahrradstraßen sind ein Meilenstein für die Verkehrspolitik in Europa.“ mad
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