: Schönen Gruß und auf Wiederhör'n
Wenn wir richtig zugehört haben: Die Düsseldorfer EG bleibt mit einem 6:2 Eismeister, und die Toten Hosen vom Pleitebund Rosenheim werden ins Nirwana der Regionalliga gesungen ■ Von daneben Bernd Müllender
Ein Ohrenschmaus. Ein Rendezvous der Sinne im Gehörgang. Ein völlig neues Hockeyfeeling. Ganz nah dran am Geschehen ist die taz, einzig ein paar lächerliche Mauern trennen die Hauptstadtzeitung von der Entscheidung um die Deutsche Eishockeymeisterschaft. Pressekarten — außer für die schreibende Lokalmafia — gibt es bei der Düsseldorfer EG nicht, was auch eine Zumutung wäre in der größten Hockeyhalle der Republik. Und so wird dies die vermutlich weltweit erste Sportreportage, die ihre packenden Beschreibungen allein aus der Akustik bezieht.
Es wurde ein einmaliges Erlebnis — Dank dafür an Düsseldorfs Organisationsleiter Hans („Hansi“) Sültenfuß, den Meister der klugen geographischen Argumentation: Eine Nähe Berlins zu Düsseldorf oder Rosenheim könne er beim besten Willen nicht ausmachen, und so sei das Ansinnen nach Berichterstattung doch nachgerade dreist, ja frivol. Kein einziger Platz sei mehr vakant, ihm werde der Kopf abgerissen, wenn er mehr als die polizeilich erlaubten 11.117 Menschen hineinlasse. Als NRW-Justizminister Krumsiek beim vorletzten Match noch am Spieltag 30 Karten für sich und seinen eishockeyverrückten Regierungstroß orderte, bekam er die Tickets allerdings sofort. Eine Geste Sültenfußens, die er Dienstag nacht noch bitter bezahlen sollte — doch davon am Ende mehr.
Nun endlich zum Hör-Spiel. Die reine Konzentration auf die Akustik birgt Spannungsmomente, die kein Sehen — welch profanes, alltägliches Erlebnis — bieten kann. Was bedeutet das Gehörte? Tor? Strafzeit? Gegentor? Foul? Anfangs klingt aller Krach wie Chaos, nicht differenzierbar. Aber dann geht das Lernen des Schreiedeutens sehr fix: Auf- und abschwellende Schallwellen künden von vergebenen Torchancen. Unerwartet dies: dem Torschrei geht immer ein kleiner Moment völliger Stille voraus — das muß der Moment des Schusses sein, der Puck ist unterwegs, die Massen halten den Atem ein, und dann knallt einem der akustische Schwellkörper voll ins Gesicht. Anders bei Rosenheims zweimaliger Führung im ersten Drittel: Ein diffuses Stimmengewirr, kaum Pfiffe, aber spürbare Unruhe — das könnte auch etwas Belangloses wie Abseits bedeuten oder Wechselpause. Doch dann das Entsetzen bei den Ausgeschlossenen, den Nichtsehenden von Düsseldorf, wenn das Knacken des Lautsprechers beginnt: „Tor für den SB Rosenheim...“
Kurz vor Ende des ersten Drittels ist es zweimal mucksmäuschenstill, die Blinden draußen wissen: Jetzt kommt der Orkan. Die DEG führt 3:2. Allmählich beginnt diese Art Sinneswandel Spaß zu machen. Eishockeygucken ist langweilig, lenkt nur ab. Und die da drinnen wissen nichts von der Wirklichkeit: „Macht sie alle, schießt sie aus der Halle“, wird skandiert — bloß das nicht, die Meisterschaft wäre augenblicklich sowie ohrenhörlich ohne Sieger beendet, denn die Spieler kämen ohne Eintrittskarte nicht wieder aufs Eis zurück.
Gleichzeitig versuchen so an die 200 leftovers vor den Stadiontoren doch noch Einlaß zu bekommen. Lodenbemäntelte Bankertypen betteln Kartenbesitzer um Verzicht an gegen gebündeltes Bares; aber einen Schwarzmarkt gibt es nicht mehr — Stunden vorher sollen Sitzplatzkarten für achthundert Mark gehandelt worden sein. Einer hat ein Transistorradio am Ohr, eine skurrile Szene, Luftlinie zehn Meter vom Eis. Andere versuchen es mit Betteln beim Ordnungspersonal — natürlich die denkbar falscheste Methode. Denn wo der Deutsche Macht hat, nutzt er sie mit Hingabe und spürbarer Lust aus; nein, die Bestimmungen ließen keine Ausnahmen zu, die Vorschriften, die Anweisungen, nein, wo kämen wir denn da hin (ja, wo?). Erbarmungslose, aufrechte Männer — bis die Zahl 500 fällt. Damit meint die Ordnungskraft nicht Didi Hegens Gesamtscorerpunktzahl, sondern das scheinerne Argument für kurzes Weggucken. Und schon ist einer durchgeflutscht. Die taz ist eine arme Zeitung — Verhandlungen zwecklos.
Drinnen donnert die Punk-Abschiedshymne von den Düsseldorfer Toten Hosen durch die Runde, gemünzt auf den Rosenheimer Vizemeister-Absteiger, der mit so vielen schönen Niederlagen die Brehmsträßler in den vergangenen Jahren ergötzte: „Die Zeit mit Euch war wunderschön, es ist wohl besser jetzt zu geh'n — Wir können keine Träne sehen, schönen Gruß und Auf Wiederseh'n.“ Weitere dreimal taucht im Mitteldrittel die Totenstille für den kurzen Moment auf — 6:2 und der Bundesligist SB Rosenheim darf sich auflösen.
Der allkehlige Countdown beginnt: „Zehn — neun — acht...“ Die Rakete steigt in den Meisterschaftshimmel, und dann, so hören wir deutlich, geht echt die Sau ab: Wildfremde Wunderkerzen liegen sich zu Abertausenden in den Armen, hektoliterweise rauscht das Konfetti durch die Kehlen, und rot-gelb gestreifter Altbierschampus wirbelt glitzernd umher. Sehende berichten hinterher, daß Venci Sebec Rosenheims letzte Puckberührung zu Bundesligazeiten hatte, bevor die Katastrophe begann: DEG-Trainer Hans Zach sei schon Sekunden vor der Sirene aufs Eis gehupft, und dabei sei der „Alpenvulkan“ (Branchenname) Magnum- Magma eruptierend explodiert. Das Eis schmolz vor Begeisterung, und der Eistempel brach zusammen. In den tiefen Krater krachte, so überlieferten die wenigen überlebenden Augenzeugen, auch der Hansi und stürzte in die Unendlichkeit des Nichts. Dem Vernehmen nach hat er immerhin eine gültige Eintrittskarte für das Höllentor mitgenommen. Und die Toten Hosen stimmten einen teuflischen Choral an: „Oben geht die Feier weiter, doch drinnen sieht es traurig aus..., drum singen wir: Auf Nimmerwiederseh'n...“
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