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„Soll ich etwa die Strümpfe auspacken?“

Am ersten Tag der neuen Verpackungsverordnung ist in den Supermärkten noch nicht viel von Töpfers Anti-Müll-Initiative zu spüren/ Auch der angebissene Kebab landet in den Recycling-Boxen  ■ Von Birgit Ziegenhagen

Berlin (taz) — Auf der beigefarbenen Ablagefläche bei Kasse 51 steht stolz das funkelnagelneue Schild. Grün, von einem Metallrahmen gehalten, mit einem Umweltstempel in der linken Ecke, informiert es: „Rückname von Umverpackungen! Die nächsten Entsorgungsstellen finden sie am Fahrstuhl“. KundInnen, die an diesem Morgen durch die Papier-, Süßwaren-, Bücher- oder Seifenabteilung im EG von Hertie am Halleschen Tor schlendern, nehmen es gelassen zur Kenntnis. Nur ab und zu pilgert jemand zum Fahrstuhl, wo die drei Plastikbehälter für Styropor, Kunststoff und Pappe stehen, und entledigt sich überflüssiger Kartons oder einer Plastikfolie.

Ab sofort, so die neue Verpackungsverordnung, müssen Vertreiber, die „Waren in Umverpackungen“ anbieten, dafür sorgen, daß diese „einer erneuten Verwendung (Mehrwegverpackungen) oder einer stofflichen Verwertung (Recycling) außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung“ zugeführt werden. Seit Dezember 1991 werden bereits gebrauchte Transportverpackungen zurückgenommen. Gestern trat die zweite Stufe des Gesetzes in Kraft.

Martina L., Verkäuferin in der Hertie-Parfümabteilung, glaubt nicht, daß die Auswirkungen groß sein werden. „Aber in den Firmen selbst, da könnten die viel mehr machen“, findet sie. Beispielsweise seien die Innenverpackungen vieler Waren völlig überflüssig. Überhaupt ist Martina L. für Mehrwegverpackungen. „Man müßte die Kartons sammeln, zurückschicken und dann neu verwenden.“ Mit rotlackierten Fingern zeigt sie auf das reichhaltige Sortiment ihrer Abteilung. Da glitzern lila, rosa und gelbe Schachteln mit Goldschrift, laden Plastiktuben und Glasflaschen in allen Farben zum Kauf ein. Ihre Kollegin ist skeptisch. Besonders ältere Leute seien an die doppelte Verpackung gewöhnt. „Die wollen für jede Kleinigkeit eine Plastiktüte“, ist ihre Erfahrung. Kundin Heidrum Janke (48) hat sich dagegen fest vorgenommen, jede Verpackung im Laden zu lassen. Zum Beispiel die Papp- und Plastikumhüllung vieler Kugelschreiber oder die Hülle von Papiertaschentüchern: „Dann werden sich die Hersteller schon umstellen“, sagt sie überzeugt. Horst Seefeldt (64) sieht die Sache eher pragmatisch: „So hat man wenigstens das ganze Verpackungsgelumpe nicht mehr zu Hause.“ Er sehnt sich nach den Zeiten zurück, als die Butter direkt vom Faß verkauft wurde.

Hertie-Geschäftsführer Haan glaubt dagegen, daß sich der Müllberg durch das „getrennte Sammeln und Wiederverwerten“ erheblich reduzieren wird. Die Verpackungen abzuschaffen, davon hält er nichts. „Schließlich kauft ja das Auge mit.“ Außerdem wolle der Kunde seine Ware geschützt kaufen. „Oder möchten Sie etwa ihre Kaffeemaschine direkt in die Hand gedrückt bekommen?“

Zwei U-Bahn-Stationen weiter, beim „Plus“-Supermarkt am Kotbusser Tor, stehen die „Recycling Boxen für Umverpackung und Baterien“ schon seit vier Wochen. Da der Müll nur einmal die Woche abgeholt wird, rechnet Verkäuferin Michaela Schmitt zukünftig mit großen Problemen. „Wir haben hier bald Berge über Berge von Müll, wenn sich das rumspricht“, befürchtet sie und zeigt auf die beiden bis an den Rand gefüllten Behälter. Von Wiederverwendung sei bis heute nie die Rede gewesen. Die Filialleiterin Martina Baseler dagegen ist optimistisch. Nach und nach würden die Hersteller ihre Verpackungen ändern, versichert sie in ihrem kleinen Kabuff gleich hinter der Tiefkühltruhe, eingehüllt in Zigarettenqualm. Ob es dafür Anzeichen gäbe? Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und guckt in den Laden. Dann fällt ihr doch noch ein Beispiel ein. „Früher waren immer drei Kakaopakete mit einer Plastikhülle eingepackt, das haben die geändert.“

Irene Przybylski (72) ist gerade dabei, auf der anderen Seite des Ladens ihren Einkauf zu verstauen. „Soll ich etwa die Strumpfe auspacken und einzeln nach Hause tragen oder den Marmeladendeckel abschrauben?“ fragt sie verärgert. Aber, immerhin, nehme sie jetzt keine Plastiktüten mehr.

Nebenan bei „Kaisers Drugstore“ wirbt ein großes Schild für Umweltbewußtsein. „Der grüne Punkt, was ist das?“ Auch über der Kasse schwebt, blau auf weiß, der Hinweis: „Umverpackungen können zurückgelassen werden.“ Allerdings nur in deutsch, an die vielen Ausländer hat offenbar, wie auch in den anderen Supermärkten, niemand gedacht. So findet sich in den aufgestellten Behältern nicht nur Papier und Kunststoff. „Da landet eigentlich alles, von angebissenen Döners bis zu dreckigen Windeln“, schimpft die junge Verkäuferin. „Ich hab' da auch keinen Bock, das Zeug zu sortieren.“ Wenn die Firmen nicht pünktlich seien, würden die Tüten einfach vor die Tür gestellt. „Mir ist doch egal, was damit passiert“, sagt sie.

Am „OBI“-Bau- und Hobbymarkt an der Ecke ist die neue Verpackungsverordnung offensichtlich ganz vorbeigegangen. Kein Schild an der Kasse, keine Müllbehälter neben dem Einpacktisch. Das einzige, was in der Männerdomäne aus Bohrmaschinen, Schrauben und Zangen hinter einer Maschine hervorluckt, ist der Hinweis, das Elektrogeräte ausgepackt werden dürfen. Die Dame von der Kassenaufsicht weiß auch nicht warum: „Bei uns konnten die Kunden schon immer alles auspacken.“

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