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INTERVIEW„Die Chancen der kroatischen Armee sind wesentlich gestiegen“

■ Ein Gespräch über die ideologische und technologische Ausrüstung der Armeen im jugoslawischen Bürgerkrieg

Anton Bebler, slowenischer Sozialwissenschaftler und Politikberater, gilt als einer der besten Kenner der jugoslawischen Bundesarmee. In Deutschland publizierte er bei rororo einen Band über Jugoslawien. Der Hochschullehrer geht nun als slowenischer Diplomat nach Genf.

taz: Sie haben die These vertreten, die jugoslawischen Bundesarmee sei im Grunde noch immer kommunistisch und versuche, auf ihre Weise den Staat zusammenzuhalten. Das ist jetzt ja wohl nicht mehr zu halten: Die Volksarmee ist doch zu einer serbischen Armee geworden!

Anton Bebler: Vorsicht! Noch ist sie eine kommunistische Armee, in der noch immer die Normen der alten Ideologie wirken. Etwa 90 Prozent der Berufsoffiziere sind Serben, Montenegriner oder sogenannte Jugoslawen [bei der Volkszählung war die Kategorie der Jugoslawen aufgeführt, zu der sich ja nach Region fünf bis zehn Prozent der Menschen bekannten, A.d.Red]. Dagegen gibt es vielleicht noch ein- oder zweihundert slowenische Bundessoldaten - und ein paar Dutzend Kroaten. Die Bundesarmee versteht sich noch immer alljugoslawisch, als Partisanen- und nicht als Tschetnikarmee. Auch ein großer Teil der Serben sieht in ihr keineswegs eine serbische Armee. Oppositionelle wie Vuk Drascović und Seselj fordern den Aufbau eigener Truppen.

Warum sprach sich der serbische Präsident Milosević denn dagegen aus?

Weil er politisch und institutionell mit der Bundesarmee verbunden ist. Für Milosevíc ist es noch immer nützlich, für das jugoslawische Erbe zu kämpfen, auch wenn der Name Jugoslawien jährlich zwischen fünf und zehn Milliarden Dollar kostet. Die Bundesarmee versucht jetzt, Bosnien-Herzegowina zu halten. Das „kleine Jugoslawien“ ist für sie die einzige Möglichkeit, ihr technologisches Niveau und ihrer Stärke zu halten.

Sie stützt sich aber auf einen sehr schwachen Staat, den außer der alten Nomenklatura auch in Serbien kaum jemand mehr will.

Eine Armee kann für einen bestimmten Zeitraum auch ohne Staat existieren, das zeigt die Bundesarmee gerade aller Welt. Das war schon im Zweiten Weltkrieg so. Die Befreiungsarmee damals hatte auch keinen Staat. Die heutige Bundesarmee finanziert sich durch die Gelddruckerpresse in Belgrad und die jugoslawischen Währungsreserven.

Wie stark ist sie denn noch?

Das weiß kaum jemand außer Generalstabschef Adzic. Schätzungsweise 220.000 bis 280.000 Mann.

Das ist noch ziemlich viel! Hat die Armee ihre Kraft und ihre Mittel nicht vollständig eingesetzt?

Technologisch war sie immer rückständig. Im letzten Herbst in Slowenien sah man sogar noch Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie entspricht etwa dem sowjetischen Standard der sechziger Jahre.

Auch in den sechziger Jahren konnte man schießen, alles zerstören...

Natürlich. Während des Krieges in Slowenien im Juni letzten Jahres gab es aber Zurückhaltung auf beiden Seiten. In Kroatien zeigten sich die Schwächen der Bundesarmee. Die Luftwaffe verfügt kaum noch über ausgebildete Piloten, das waren nämlich vor allem Slowenen und Kroaten. Die Marine hatte anfänglich zwölf U-Boote, doch neun oder zehn Kommandanten und fast die gesamten Mannschaften sind weggegangen. Sie waren auch Slowenen und Kroaten. Bei der Artillerie und der Panzertruppe gibt es ebenfalls Probleme. Um solche Leute auszubilden, braucht man mindestens zwei Jahre. Übrigens war der Militärflughafen von Zagreb eine Hauptbasis für die Luftwaffe, wo Reparaturen ausgeführt wurden. Diese Basis wurde verloren.

Deshalb wurden die Stützpunkte in Zagreb mit Zähnen und Klauen verteidigt! Wollte die Armee also in Kroatien kämpfen, konnte ihre volle Kraft aber nicht mehr entfalten?

Es gab natürlich auch Sabotage. Piloten ließen ihre Bomben auf freies Feld fallen...

Und im kroatischen Slawonski Brod soll es eine Panzerfabrik geben, die Volksksarmee und Kroaten gemeinsam betreiben.

Die Fabrik funktioniert. Dort arbeiten die jugoslawische Regierung, die Bundesarmee und die kroatische Regierung zusammen. Es gibt nämlich einen alten Vertrag mit Kuweit, nach dem für 1,2 Milliarden Dollar M-84 Panzer gebaut werden sollen.

Wie groß ist denn die kroatische Armee? Sie ist ja offensichtlich zu einem ernsthaften Gegner der Bundesarmee geworden.

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber ernsthafte Schätzungen beziffern die Mannschaftsstärke zwischen 100.000 und 200.000 Mann. Diese Armee setzt sich aus den ehemaligen Territorialeinheiten, den Polizeikräften und Eliteverbänden, der Staatsarmee, zusammen. Formell sind innerhalb dieser Armee die Verbände der HOS, der Partei des Rechts, integriert.

Wie stark sind diese Rechtsradikalen, die Serbien als Ustaschen bezeichnet?

5.000 Mann, nicht mehr. In jedem Bezirk gibt es auch eigenständige Einheiten der HOS. Diese Einheiten können ihre eigene Initiative entfalten. Das geht so weit, daß sie Partisanenkrieg auf der anderen Seite führen. Sie versuchten die Flughafen in Dihac und Mostar (Bosnien) anzugreifen.

Also operieren sie doch unabhängig.

Der kroatische Präsident Tudjman hat gesagt, es gebe keine paramilitärischen Einheiten mehr. Das Hauptquartier der HOS ist jedoch in Westherzegowina und nicht in Kroatien.

Wie weit sind die Kroaten in bezug auf Bewaffnung gekommen? Besitzen sie tatsächlich Leopardpanzer aus Italien?

Die Kroaten haben jetzt in der Tat schwere Waffen. Es ist von 140 Kampfflugzeugen die Rede, die allerdings nicht in Kroatien selbst stationiert sind, sondern in Ungarn und Italien. Die meisten stammen von der NVA.

Wie bitte?

Vielleicht sind diese Informationen auch psychologische Kriegsführung. Einige Dutzend MIGs aber sind auf jeden Fall in kroatischem Besitz, dazu 200 Panzer. Die kroatische Armee ist jetzt ziemlich stark. Ihre Chancen in einem eventuellen Krieg sind wesentlich gestiegen.

Zusammenhänge mit der italienische Mafia, aber auch mit der kosovo-albanischen Mafia und kroatischen Waffenhändlern bestehen ja wohl. Motto: Heroin gegen Waffen.

Ein schwieriges Feld.

Und die slowenische Armee?

Zur Zeit werden sechs Ausbildungszentren in Slowenien aufgebaut, so daß die eingezogenen Wehrpflichtigen auch ausgebildet werden können. Etwa 7.000 Mann werden die erste Gruppe bilden, also die Hälfte der Wehrpflichtigen. Im Ganzen soll die ständige Armee 12.000 Mann umfassen, die noch von den Territorialeinheiten im Verteidigungsfall unterstützt werden. Im Ganzen werden das über 40.000 Mann sein. Interview: Erich Rathfelder

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