: Eckkneipen-Ethnologie in Neukölln
■ Der Berliner Schriftsteller und Vortragskünstler Michael Stein schaut dem Volk aufs Maul und bleibt dabei arm/ Seine Geschichten handeln von Kiez-Größen, Angebern, Stasiisten und Hungerleidern/ Unprofessionalität ist Steins Programm
Pointer ist kein richtiger Privatdetektiv und hat an der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg ein dubioses Büro eingerichtet, um noch dubiosere Fälle aufzuklären. Michael Stein, Serien-Autor und der Erfinder von Pointer, hat manche von dessen Abenteuern selbst erlebt. Er verwickelt seinen Helden in die Bandenkriege im Kiez, führt ihn zu Häuserspekulanten und setzt ihn auf den Mörder eines Demonstranten an. Auch hierbei scheint es sich um einen authentischen Fall zu handeln. Doch um »seriös zu recherchieren«, fehlte Stein die Geduld. Der gebürtige Berliner hält sich für faul und ist beinahe froh darüber, von der Sozialhilfe zu leben. Denn würde sein Konto zu stark ins Plus schießen, fehlte ihm der Antrieb zum Schreiben.
Stein beliefert die Satiremagazine 'Kowalski‘ und 'Titanic‘, liest im Benno-Ohnesorg-Theater eigene Texte, vor allem aber produziert er für den Rundfunk. Der Kiezkrimi aus dem Jahr 1988 war bisher Steins erfolgreichstes Stück. Andere handeln von kiffenden KOBs, den Frauen sozialistischer und jetzt pro- kapitalistischer Minister oder machen sich über den öffentlichen Umgang mit der Stasi-Vergangenheit lustig. Eine Geschichte handelt davon, wie die Terrororganisation »Rote Faust« das alte DDR-Regime restaurieren will. Wieder andere Hörspiele erzählen ohne Höhepunkte und Plots Geschichten aus dem Leben eines Normalberliners oder berichten von der aufregenden Ödnis von Bahnhof und Spielcasino.
Nicht immer kann Stein seine Arbeiten bei den Sendern unterbringen. Die Behandlung seiner Lieblingsthemen Gewalt, Kirche und Sexualität stößt bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf wenig Gegenliebe. Stein sieht darin eine Herausforderung: »Zensur kann auch eine gute Sache sein, weil du gezwungen bist, nicht immer mit dem Hammer draufzuschlagen, sondern dich diffiziler auszudrücken.« Deshalb machen ihm seine Auftritte in autonomen Stadtteilläden zwar Spaß, stellen ihn aber nicht zufrieden: »Ich hab' da Narrenfreiheit — die schlucken alles.« Lieber geht Stein nachts auf Sendung, wie einst bei Radio 100, weil die wenigen Hörer dann wirklich zuhören.
Die sorgfältige Lektüre der überregionalen Feuilletons schenkt sich Stein im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die die Stilblüten der Kulturpäpste hemmungslos ausschlachten. Statt dessen blättert er in den Boulevardzeitungen oder macht sich unterwegs ein paar Notizen, die er erst in letzter Minute vor einer Lesung ausformuliert. Daran liegt es auch, daß Stein auf der Bühne in seinem Berg handschriftlicher Vermerke schon mal den Anschluß nicht findet. Auch sonst gibt er sich betont prinzipienlos und gefällig. Er würde für jedes Blatt schreiben, behauptet er, sogar für die 'Bäckerblume‘ oder das 'Apothekenmagazin‘. Die Filme von Godard findet er schrecklich, freut sich allerdings über den Vorschlag des Franzosen, alle Intellektuellen verschwinden zu lassen, damit der Blick auf die Dinge wieder frei werde. Stein will keine literarischen Vorbilder nennen, hat weder Pläne noch eine »Vorstellung von einem Lebenswerk. Ich werde wahrscheinlich nie ein Buch machen.« Auch sonst stellt er sein Licht gern unter den Scheffel. »Ich weiß, daß ich im Grunde nichts zu sagen habe«, behauptet Stein, »ich mach lieber den Kasper.« Das ist wahr — und Pose zugleich. Steins Geschichten leben nicht nur von trockener Komik, sie beschreiben das Leben in seiner banalsten Form, die Stein gründlich kennengelernt hat. Der 39jährige ist ausgebildeter Drucker. Anfang der Achtziger verdiente er seinen Lebensunterhalt als »Mietmusiker« am Saxophon; Pillepalle und die Ötterpötter hieß seine Stammkapelle. Und sieben Jahre in der Fabrik haben sein Bild vom Arbeiter relativiert. Statt weiter vom Klassenkampf zu träumen, schaute Stein danach lieber »dem Neuköllner« aufs Maul. »Ich treib mich unheimlich lange in Eckkneipen rum. Das hat was Vielseitiges, weil ich da rangehe wie Ethnologen... Auf diese Weise hab ich öfter Geschichten geschrieben, so bekloppt wie man ist, wenn man zum Beispiel zuviel trinkt.« Über literarische Klischees weiß Stein ebenfalls Bescheid und führt sie genüßlich ad absurdum. Pointer ist das Paradebeispiel des einsamen Helden mit gestörtem Verhältnis zu sich selbst, wie ihn auch Malet entworfen haben könnte. Pointer schüttet Unmengen eines »lausigen Getränks« in sich hinein, das ihn anderntags mit brummenden Schädel erwachen läßt. Er kennt jeden im Viertel, telefoniert wichtig herum und hat Termine mit den Kiezbossen — doch all die geheimnisvollen Verbindungen führen ins Nirwana und werden von Stein als Kraftmeierei entlarvt. Schließlich verliebt Pointer sich in die obligate Klientin, die mit einem unmöglichen Auftrag zu ihm kommt und selbstredend äußerst verführerisch aussieht. Aber statt Pointer, wie sämtliche DetektivInnen der Weltliteratur, als ewigen Single in die nächste Folge zu schicken, schiebt Stein sein Paar ins Südseeparadies ab, unter die Palmen ins Happy-End. Damit schließt sich der Kreis. Eine Fortsetzung ist nicht möglich, und so bleibt auch für Michael Stein das Dasein als Serienautor weiter nur ein Traum. Doch der finanzielle Druck ist wieder da, und Stein muß weiterschreiben. Claudia Wahjudi
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