NICARAGUA HAT EINEN EIGENEN SOHN GOTTES, UND FAST ALLE MACHEN MIT

Der Messias von Managua

Managua (taz) — Er ist 33 Jahre alt, trägt Vollbart und schulterlanges Haar, heilt Kranke durch Handauflegung und geistert seit einer Woche durch die nicaraguanische Presse. Marcos Antonio Bonilla behauptet, er sei vom Herrn gesandt, und „Nicaragua ist das auserwählte Volk“. Auch das Jüngste Gericht werde in Nicaragua stattfinden. Das Wirken des „Jesus von Managua“ wäre vielleicht über den Mercado Oriental, den ausufernden Markt, Schwarzmarkt, Drogenumschlagplatz und Prostitutionsknotenpunkt im Herzen Managuas nicht hinausgekommen, wenn ihn die sensationalistische Tageszeitung El Nuevo Diario nicht entdeckt hätte. Am Tag als das Blatt mit der Story von den Lehren und angeblichen Wunderheilungen des „Messias“ aufmachte, schnellte die verkaufte Auflage auf Rekordhöhe. Da wollte auch die sandinistische Barricada nicht nachstehen und holte sich den Mann zu intimen Bekenntnissen in die Redaktion. „Jesus“ pflege keinen Geschlechtsverkehr mit seiner Frau, war zu erfahren. Seine drei Kinder seien „durch den Willen Gottes“ entstanden, und auch andere Frauen, deren Kinder ihm verdächtig ähnlich sehen, habe er nie „fleischlich besessen“. Die Version der Frauen über die Entstehung ihrer Nachkommenschaft hat noch keiner recherchiert.

Seiner Mutter Lili Solorzano sei vor Beginn der Schwangerschaft der Heilige Geist erschienen: „Ein Kind wird kommen, das der Menschheit von Nutzen sein wird.“ Mutter und Sohn wußten also von Anfang an von der Mission, doch erst die Sonnenfinsternis im vergangenen Juli sei das Signal Gottes an seinen Sohn gewesen, seine Identität preiszugeben.

Das Jesus-Fieber ergriff schließlich auch die sandinistischen Sender „Radio Sandino“ und „Radio YA“, die den Heiligen in ihre Studios holten und einen ganzen Vormittag für die Fragen Hunderter Anrufer zugänglich machten. Jesus antwortete mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit und ließ sich auch von vereinzelten Beschimpfungen ungläubiger Landsleute nicht aus der Ruhe bringen. Untermalt von Halleluja-Chorälen aus der Konserve, gewannen seine Worte prophetische Schwere: „Ich werde es nicht bereuen, der Sohn Gottes zu sein, auch wenn man mich vor Gericht stellt und mir ein Gewehr an den Kopf hält, denn ich diene dem Willen Gottes und nicht dem Willen gewisser Personen.“

Während Jesus den Gläubigen Interpretationen der Heiligen Schrift lieferte und in persönlichen Problemen Trost sprach, versammelten sich vor den Studios Kranke und Gelähmte in ihren Rollstühlen, die der Wunderheilungen teilhaftig werden wollten. Ein Reporter machte die Probe aufs Exempel und wurde prompt durch Handauflegung von Gliederschmerzen befreit.

Daß der Messias von den sandinistischen Medien vereinnahmt wird und nicht von der konservativen Presse, die in der Vergangenheit geheimnisvolle Jungfrauenerscheinungen bis zum Exzeß ausschlachtete, ist kein Zufall: „Jesus“ kommt mit einer klaren sozialen Botschaft. Auf die Frage, warum er keine Brote vermehre, um den Hunger auf dem Land zu lindern, erwiderte er: „In Nicaragua gibt es genug Nahrungsmittel, nur sind sie schlecht verteilt.“ Pater Juan Carlos Meroz, der Pfarrer des Bezirks, in dem Jesus wohnt, hat eine natürliche Erklärung für das Phänomen: „Die Leute brauchen einen Anführer der Armen. Und angesichts der Unfähigkeit der Medizin, ihren Leiden Ahilfe zu schaffen, nähren sie die Hoffnung auf Wunderheilung.“ Und die Kritik des konservativen Kardinals Obando y Bravo, der dem Jesus-Rummel mit angemessener Skepsis begegnet, fiel erstaunlich moderat aus. Der oberste Hirt Nicaraguas versprach dem Messias eine Audienz. Ralf Leonhard