An der Kinderprostitution verdienen viele

Konferenz der „Kampagne zur Beendigung der Kinderprostition als Folge des Tourismus“/ Mehr als eine Million Kinder werden pro Jahr in die Prostitution gezwungen/ Immer mehr Pädophilenverbände bieten „Reisen nach Asien — Sex inklusive“ an  ■ Aus Bangkok Gisela Ossig

„Die Temperatur in Bangkok beträgt 37 Grad. Die Aidsrate unter Prostituierten liegt derzeit bei 60 Prozent. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ Derartige Bordansagen für Chartertouristen wünschten sich TeilnehmerInnen einer internationalen Expertentagung der „Kampagne zur Beendigung der Kinderprostitution als Folge des Tourismus“ (ECPAT) in Bangkok — zumindest in der Konferenzpause.

Niemand weiß, wie viele Kinder heute weltweit zur Prostitution gezwungen werden, denn natürlich gibt es keine offiziellen Zahlen. Nach Schätzungen des neuseeländischen Tourismusexperten Ron O'Grady sind es pro Jahr rund eine Million Kinder, die — vielfach durch organisierte Händlerringe — zur Prostitution gebracht werden.

180 VertreterInnen des ECPAT- Netzwerkes waren aus Asien, Nordamerika, Europa und der Pazifikregion in der vergangenen Woche in Bangkok zusammengekommen, um über regionale Initiativen und gemeinsame Aktionen zum Schutz der betroffenen Kinder zu sprechen. Das Gastgeberland selbst gehört zu den bekanntesten Zielorten des internationalen Sextourismus: Während die thailändische Regierung von 80.000 Kinderprostituierten ausgeht, rechnet das Kinderschutzzentrum in Bangkok mit landesweit 800.000 Prostituierten unter 16 Jahren.

Die Schätzungen für Sri Lanka reichen von 2.000 bis 20.000. Dort sind es vor allem Jungen, die den perversen Wünschen europäischer Pädophiler nachkommen. Trotz eindeutiger Werbeangebote „für Alleinreisende“ lehnten die Reiseveranstalter in Deutschland bislang jede Verantwortung für das Verhalten ihrer Kunden am Urlaubsort ab. So scheint es nicht sehr wahrscheinlich, daß die zum Konferenzende vorgeschlagenen Maßnahmen in absehbarer Zeit durchsetzbar oder gar wirksam sind: Die Reisegesellschaften sollen aufgefordert werden, hieß es, in Bordbroschüren oder Videos über die rechtlichen, gesundheitlichen und — im Hinblick auf die Kinder — psychologischen Folgen des sexuellen Mißbrauchs zu informieren. Jedem Ticket sollte ein Verhaltenskodex für Touristen beigelegt werden.

In den USA und Europa werden immer mehr Pädophilenverbände bekannt, die Reisen inklusive Sex mit Kindern anbieten. ECPAT überlegte daher, „eine Datenbank mit den Namen bekannter oder vermuteter Pädophiler“ einzurichten. Und es wird angestrebt, ein Dokumentations- und Informationszentrums über Tourismus, aber auch Kinderhandel, mit Sitz in Asien einzurichten.

Auf nationaler Ebene wollen sich die ECPAT-Mitglieder sowohl für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen in die staatliche Gesetzgebung einsetzen als auch für die Verschärfung der nationalen Rechtsprechung. Allzu oft werde Sex mit Kindern als Kavaliersdelikt entschuldigt statt als kriminelles Verbrechen bestraft, hieß es. Eine Änderung der Gesetzgebung — wie sie in Deutschland gefordert worden sei — die eine Bestrafung im Ausland begangener sexueller Vergehen an Minderjährigen ermöglichten würde, wurde auf der Konferenz begrüßt.

Doch die Verfolgung der Zuhälter und Händlerringe wird auch dadurch erschwert, daß besonders in einer Reihe asiatischer Länder die Polizei an der Kinderprostitution durch Schmiergelder verdient. So machte der Chef der Sondereinheit der thailändischen Polizei zur Bekämpfung der Kinderprostitution, Bancha Charuchareet, in Bangkok die Verstrickung hochrangiger Politiker in den Menschenhandel verantwortlich. Daran dürfte auch die Forderung der ECPAT, unabhängige Anti-Korruptions-Kommissionen einzurichten, wenig ändern.

Aus der Bundesrepublik war eine interfraktionelle Parlamentarierinnengruppe nach Thailand gereist. Die entwicklungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ingrid Walz, versprach in Bangkok, sich für eine Umwidmung des Haushaltstitels für militärische Zusammenarbeit mit Thailand. Dieser Betrag von über zehn Millionen Mark sollte nach Meinung der FDP-Politikerin benützt werden, um die thailändische Polizei durch Aufklärungsprogramme über die dramatischen Folgen der Kinderprostitution „zu sensibilisieren“.

Kinder, die aus Bordellen gerettet werden konnten oder entflohen, litten zumeist unter mehreren Geschlechtskrankheiten, über die Hälfte war HIV-positiv, hieß es in Bangkok. Die wenigen bislang belangten Pädophilen sagten vor Gericht aus, sich jeweils an Hunderten von Kindern sexuell vergangen zu haben. Die Experten warnten daher auch vor den für die Gesellschaft dramatischen gesundheitlichen und psychologischen Schäden durch die Kinderprostitution.

Shay Cullen, ECPAT-Mitglied aus den Philippinnen, appellierte an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, mehr Druck auf die Regierungen auszuüben. Die „schönen UNICEF-Programme“ für Straßenkinder seien umsonst, solange die Kinder immer wieder eingesperrt würden und im Gefängnis den Vergewaltigungen durch Mitgefangene wie Wachpersonal ausgesetzt seien.

Die internationale Kampagne zur Beendigung der Kinderprostitution (ECPAT) wird von kirchlichen Dachorganisationen in Asien und von internationalen ökumenischen Netzwerken getragen. Viele ihrer Mitglieder arbeiten in Einrichtungen, die den Kindern durch Ausbildungsprogramme eine Alternative zur Prostitution anbieten wollen. „Hört mehr auf die Kinder!“ hieß es allerdings auch selbstkritisch in Bangkok, wo die Kinder zwar zur Eröffnung zu Wort gekommen waren, die Erwachsenen im weiteren Verlauf aber nur noch mit Gesang und Theater unterhalten durften.