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EUROFACETTENMutti-Ideologie

■ Berufsttätigkeit schadet dem Kind nicht

Aus meiner Praxis als Psychologin möchte ich zwei Dinge klarstellen. Erstens: Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der psychologischen Gesundheit des Kindes und der Arbeit der Mutter. Unter den Kindern, die einen Psychologen brauchen, sind genauso viele, deren Mutter zu Hause ist, wie solche, deren Mutter arbeitet.

Gewiß, die Ereignisse des Lebens wirken sich auf das Werden des Kindes aus, das bedeutet aber nicht, daß sie es bestimmen. Denn das Kind ist nicht die Frucht einer Kausalität, es ist kein Objekt. Vielmehr ist jedes Kind ein Subjekt, das auf seine eigene Weise reagiert. Das heißt, wir sind dem Kind gegenüber nicht allmächtig. Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, daß die Berufstätigkeit oder das Nicht-Arbeiten der Mutter einen direkten Einfluß auf das Kind haben. Diese Vorstellung ist falsch und für Mutter und Kind gefährlich.

Gefährlich für die Mutter, weil daraus eine Verantwortlichkeit abgeleitet wird, die nicht besteht; die Folge ist ein falsches Schuldbewußtsein, mit dem die Mutter schwer umgehen kann. Gefährlich für das Kind, weil ihm dann oft eingetrichtert wird: „Die Mutter arbeitet, das Baby ist alleingelassen, verlassen — armes Kleines“ — und das Kind identifiziert sich mit diesem angeblichen „armen Kleinen“.

Das Kind selbst kommt nicht mit der Idee auf die Welt, daß es gut, normal oder anormal sei, daß die Mutter arbeitet. Hingegen wird es mit einer unglaublich ausgeprägten Fähigkeit geboren, die psychologische Verfassung seiner Nächsten und insbesondere ihre Widersprüche zu erspüren.

Und damit komme ich zum zweiten Punkt: Für das Kind ist nicht allein die Mutter verantwortlich, sondern auch der Vater und die Gesellschaft. Für das Kind zählt, wie sich die etwaige Berufstätigkeit der Mutter auf seine Eltern auswirkt. Was die Arbeit für die Mutter an Befriedigung und an Opfer bedeutet. Wie der Vater dazu steht, daß die Mutter arbeitet. Sind die Eltern der gleichen Ansicht, oder bieten sie dem Kind ein widersprüchliches, unheilvolles Bild? „Mamas Berufstätigkeit macht Papa müde“, erklärte mir ein Vierjähriger.

Die wirkliche Frage lautet also: Wie organisieren sich Mutter, Vater, Kind und die soziale Umgebung, damit der erste Schritt zur Sozialisierung des Kleinkindes so gut wie möglich verläuft? Dabei tragen auch die Personen eine große Verantwortung, die sich professionell um Kinder kümmern. Es erstaunt mich in diesem Zusammenhang immer wieder, daß der Verwalter eines Schraubenlagers in Frankreich mehr verdient als eine Kinderpflegerin. Sylviane Giampino

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