Europas Krippen-Paradies

Auch Schwedens bürgerliche Regierung will das Recht auf einen Kindergartenplatz  ■ Aus Stockholm Imke Janoschek

Mia und Ola Söderstrom haben doppeltes Glück gehabt. Sie wohnen in der richtigen Gegend: Die Musterkommune Botkyrka, ein Vorort von Stockholm, garantiert ihrem Sohn Filip einen Kindergartenplatz, sobald er 18 Monate alt ist. Sie arbeiten zudem bei dem richtigen Unternehmen: Der Versicherungsriese „Folksam“, bei dem beide angestellt sind, zahlt Ola und Mia je anderthalb Monatsgehälter extra, sobald sie mindestens drei Monate Elternurlaub nehmen. Da immer noch viele Väter besser verdienen als die Mütter, reizt der Folksam-Bonus die Männer, zu Hause zu bleiben — der Zuschuß zur Familienkasse ist erheblich. Nicht alle schwedischen Arbeitgeber haben solche Extrawürste zu bieten. Trotzdem sind inzwischen mehr als ein Viertel der Elternschaftsurlauber männlich.

Gewiß, Botkyrka ist eine Ausnahme. Nur wenige Kommunen garantieren Kindergartenplätze, und bisher gibt es auch kein gesetzlich verbrieftes Recht auf einen solchen Platz. Im Schnitt können die Gemeinden die Nachfrage nach Kinderbetreuung bisher jedoch zu 85Prozent decken. Neunzig Prozent aller erwerbsfähigen Schwedinnen sind berufstätig. Daran hat auch der momentane Babyboom — die Schwedinnen bekommen im Schnitt 2,1 Kinder — nicht viel geändert. Die Geburtenrate hat die Nachfrage nach Kindergartenplätzen in die Höhe schnellen lassen.

Das soziale Paket für neugebackene Eltern läßt sich ebenfalls sehen: Das Babyjahr hat in Schweden 450 Tage. 360 Tage lang bekommen die Eltern 90Prozent des normalen Einkommens, für die restliche Zeit werden pro Tag 18Mark bezahlt. Das Kindergeld beläuft sich auf 230Mark pro Monat. Ist der Elternurlaub vorbei, geht es im allgemeinen zurück ins Arbeitsleben. In Schweden leben rund 700.000 Kinder im „Vorschulalter“, so werden hier alle Kinder zwischen drei Monaten und sechs Jahren bezeichnet. Um knapp die Hälfte von ihnen kümmert sich der Staat mit kommunalen ErzieherInnen. Das heißt: 337.000 Kinder besuchen einen kommunal verwalteten Kindergarten oder sind bei einer kommunal angestellten Tagesmutter untergebracht.

Die kommunalen „dagis“ (Tagesheime) sind sehr beliebt. Sie sind in der Regel von früh morgens bis zum Abend geöffnet. In der Grubenstadt Kiruna nördlich vom Polarkreis gibt es sogar ein „Nattis“ (Nachtheim), das die Kinder von Schichtarbeitern nachts betreut. Der Preis für die ganztägige Betreuung richtet sich nach dem Einkommen der Eltern, er liegt zwischen 280 und 560Mark.

Das Angebot der Kommunen reicht trotz des ständigen Ausbaus bisher nicht aus. Anzahl der Plätze und Geburten steigen in ungefähr demselben Takt. Das Angebot an Kindergartenplätzen liegt in den Kommunen seit vier Jahren etwa 15Prozent unter der Nachfrage. 63.000 Kinder stehen in der Warteschlange für einen „dagis“-Platz. Sie müssen derweil mit privaten Tagesmüttern, privaten Kindergärten oder Elternkooperativen vorlieb nehmen — oder ganz zu Hause bleiben.

Private Kindergärten sind erst seit der Machtübernahme der konservativ-liberalen Regierungskoalition im vorigen Herbst erlaubt. Bisher ist jedoch kein Eröffnungsboom zu verzeichnen, da mit dem staatlichen Angebot inhaltlich und finanziell schwer zu konkurrieren ist. Andererseits will der liberale Sozialminister Bengt Westerberg sogar ein Ziel der entmachteten Sozialdemokraten verwirklichen: Im März forderte er eine gesetzliche Garantie für einen Kindergartenplatz. Wie sich ein solches Recht mit dem Marktglauben seiner Kollegen vereinbaren läßt, bleibt offen.