AUSLÄNDISCHE PRESSESTIMMEN ZUM RECHTSRUCK IN DEUTSCHLAND: „Protestwahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein“
■ „Die Rechte ist bestens organisiert und kennt keine Grenzen“/ Angst vor dem „Wiederaufleben des neonazistischen Krebsgeschwürs“
Berlin (taz/dpa/afp) — Den Erfolg der rechtsradikalen Parteien bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wertet die Auslandspresse überwiegend als Protestvotum gegen die etablierten Parteien. „Deutschland: Das ausländerfeindliche Votum gedeiht“, titelte in dicken schwarzen Buchstaben die französische Zeitung Libération am Montag. Die Nachricht über den Erfolg „der beiden neonazistisch beeinflußten Gruppen“ nimmt fast die Hälfte der Titelseite des Blattes ein. Auch Le Monde macht den Erfolg der Rechtsextremen bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zum Aufmacher. Das Blatt erinnert daran, daß sich die Deutschen bisher nicht vor einem Wiederaufblühen des Rechtsextremismus in ihrem Land gesorgt und statt dessen mit „Schadenfreude“ (auf deutsch im Text) auf das Erstarken der rechtsextremen Front National in Frankreich hingewiesen hätten. Der Tenor der französischen Kommentare lautet jedoch, daß es sich um eine Protestwahl handle, nicht aber um den Beginn eines Rückfalls in finstere Zeiten. Nur der meist sehr komische Karikaturist Plantu schert aus: Ebenfalls auf der Titelseite von Le Monde hat er einen Ausländer gezeichnet, dem erst ein Stimmzettel-Kreuz, dann jedoch ein wuchtiges Hakenkreuz ins Gesicht schlägt.
Wohnungsnot, die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, soziales Gefälle und Angst vor Fremden sind für das Wirtschaftsblatt La Tribune de L'Expansion ausschlaggebend für den Rechtsruck in Westeuropa. Die unabhängige Zeitung Ouest-France sieht in den Veränderungen in Osteuropa den Grund für die Verunsicherung der WählerInnen im Westen: „Mehr oder weniger empfinden die Bürger in Westeuropa dasselbe Unbehagen, aus dem ein Le Pen, ein Schönhuber oder ein Umberto Bossi Kapital schlagen. Nach 45 Jahren Wachstum und Wohlstand hat der Fall des Eisernen Vorhangs Gewißheiten ins Wanken gebracht.“ Le Ouotidien, rechtsgerichtete französische Zeitung, spricht von einer „braunen Welle“, die „beispiellose Ausmaße angenommen“ habe. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa: „Die Rechte ist bestens organisiert und kennt keine Grenzen.“ Mit Blick auf Europa sieht die konservative Berlingske Tidende, Kopenhagen, das Wahlergebnis: „Die beiden Landtagswahlen waren nicht nur eine ernsthafte Warnung an die Politiker in Bonn, sondern in ganz Europa. Das Ergebnis war in allen Punkten Ausdruck von Mißtrauen gegenüber den beiden größten Parteien.“ Politiken, liberale dänische Zeitung, vermutet hinter den Wählern der Reps und der DVU keinesfalls nur „Halb- oder Totalfaschisten“, dennoch wäre zu erwarten gewesen, daß „die Wähler aus der Geschichte des Landes gelernt haben“.
Israelische Blätter reagierten in ihren Leitartikeln mit Besorgnis auf das politische Klima in Deutschland. Alhamishmar: „Die Deutschen ziehen den Ausdruck radikale Rechte dem Begriff Neonazis vor, um den universalen Charakter des Phänomens auf der ganzen Welt zu betonen. Man hätte erwarten können, daß die deutsche Scham tiefer und das ,Aus-der- Vergangenheit-Lernen‘ ernster ist, auch in breiteren Schichten der deutschen Gesellschaft.“ Auch wenn objektive Faktoren als Erklärung für das Wählerverhalten herhalten könnten, so warnt das Blatt dennoch davor zu glauben, daß, „wenn einmal die objektiven Anlässe verschwinden, auch die Resultate ohne weiteres beseitigt werden können“. Der Ha'arez kommentiert, „der Versuch des Kanzlers Kohl, mit den Rechtsextremen durch nationalistische Rhetorik wettzueifern, hat in Baden-Württemberg nichts genutzt. Die Unfähigkeit des Kanzlers, die Resultate in den Ländern beeinflussen zu können, wird seine föderale Position schwächen.“ Frust auf die Unfähigkeit der großen Parteien und Zukunftsangst bescheinigt die Jerusalem Post dem deutschen Wählervolk. Der konservative Corriere della Sera, Mailand, sieht die Gründe für den Schlag gegen die großen Parteien und den Triumph für „Republikaner“ und DVU in der Asyldebatte. „Das Problem der Asylanten wird als Bedrohung des Wohlstands und des sozialen Gleichgewichts empfunden, ein Alptraum, der so zwanghaft war, daß davon Schönhuber und Frey sich nähren konnten.“
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