piwik no script img

Sarajevo ist von Panzern der Armee umzingelt

Heftige militärische Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas/ Serbische Milizen kontrollieren die Vororte Sarajevos/ Armee erobert kroatisch besiedelte Stadt zurück und weigert sich, aus der Republik abzuziehen  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Rund um die Uhr wiederholte gestern das bosnische Fernsehen einen Hilferuf des Präsidenten Alija Izetbegovic, ein Angriff auf die Hauptstadt Sarajevo von Seiten der jugoslawischen Bundesarmee stehe unmittelbar bevor. Hieß es in der Nacht auf Mittwoch, in der Früh werde der „Armeeputsch“ vollzogen werden, so sprach gestern Radio Sarajevo von „Vorbereitungen, die Hauptstadt militärisch einzunehmen“.

Trat bisher dieser dramatische Ernstfall nicht ein, so kann allerdings von Ruhe in der unabhängigen Republik Bosnien-Herzegowina keine Rede sein. Auch gestern kam es in vielen Teilen der Republik zu militärischen Auseinandersetzungen. Mindestens zwanzig Menschen wurden getötet. In Sarajevo selbst konnte man ab Mitternacht die ganzen Nachtstunden über Schüsse hören, Leuchtpatronen zischten durch die Strassen, deren Beleuchtung auf Anordnung des Bürgermeisters abgedreht worden war. Maschinengewehre waren ebenso im Einsatz, wie Raketen und Artillerie. In den Morgenstunden die Bilanz: Mehrere zentrale Gebäude waren von der jugoslawischen Armee eingenommen und besetzt. Auf allen Zufahrtstraßen zur Stadt hat die Armee Panzer auffahren lassen. Die südlichen und östlichen Vororte werden von schwer bewaffneten serbischen Milizen kontrolliert. Die Hauptstadt ist von fünf Armeebataillons eingeschlossen.

Das Belgrader Fernsehen zeigte mit Stolz, wie die Armee für Ruhe und Ordnung sorge. Wenngleich der Oberbefehlshaber des zweiten (jugoslawischen) Armeebezirks, Milutin Kukanjac, jede Verwicklung in die Straßenkämpfe weit von sich wies und in einem Interview kroatische Heimwehrverbände und muslimanische Grüne Barette für die Straßenkämpfe in Sarajevo verantwortlich machte, gestand zur Mittagsstunde Radio Beograd ein, die Streitkräfte hätten aktiv in die Kämpfe eingegriffen, um „das Schlimmste zu verhindern“. Dem gleichen Sender zufolge wurde auch noch am Mittwoch mittag in der Gegend der Regierungsgebäude in Sarajevo geschossen.

Auch in zahlreichen Landesteilen herrscht Krieg. Die seit Tagen umkämpfte, mehrheitlich kroatisch besiedelte Stadt Kupres in der Westherzegowina, die am Dienstag zum Teil noch unter Kontrolle von kroatischen Milizen war, wurde am Mittwoch von der Armee erobert. Das Ortszentrum wurde durch Artilleriebeschuß stark zerstört. Mindestens zwanzig Menschen starben. Rund um Kupres gingen die Kämpfe zwischen Armee und serbischen Freischärlern auf der einen, und muslimanischen und kroatischen Milizen auf der anderen Seite weiter.

Der Interims-Generalstabschef der jugoslawischen Armee, General Zivota Panic, schloß einen Abzug der Truppen auch nach der Anerkennung der bosnisch-herzegowinischen Unabhängigkeit durch die EG aus. Mindestens 65 Prozent der Armeeverbände , über 120.000 Mann, sind nach dem Abzug der Truppen aus Slowenien, Zentralkroatien und Mazedonien nun in Bosnien-Herzegowina stationiert.

Einigermaßen chaotisch geht es auf der politischen Bühne Sarajevos zu. Weder Präsident Izetbegovic noch andere Spitzenpolitiker ließen sich am Mittwoch in der Öffentlichkeit blicken. Wegen der militärischen Auseinandersetzungen gelang es dem Parlament nicht, die erforderliche Anzahl Abgeordneter zusammenzubringen, um die für die Unabhängigkeit notwendigen Gesetze zu erlassen.

Am Dienstag hatte zudem ein „Provisorisches Friedenskomitee“, dem muslimanische, serbische und kroatische Kulturschaffende und Wissenschaftler angehören, und das aus einer Friedensdemonstration hervorgegangen war, seinen Anspruch auf die Macht in der Republik angemeldet. Als Ziel nannte es die Erhaltung der Republik und die Durchsetzung von Neuwahlen. Auch aus der bosnischen Serbenenklave Banja Luka waren keine Neuigkeiten zu vernehmen. Dort hatten lokale Serbenführer eine eigene 'Republik Bosnien-Herzegowina‘ ausgerufen, eine Republik, von der bisher niemand weiß, wie groß sie eigentlich ist.

Auch in Kroatien ging am Mittwoch der Krieg weiter. Die ostslawonische Stadt Osijek wurde mit Mörsern beschossen. An der dalmatinischen Küste wurde die Hafenstadt Zadar von Artillerie der Bundesarmee angegriffen. Auch die historische Altstadt wurde beschossen.

Beschleunigte Stationierung der UN-Truppen

New York (dpa/ap) — Angesichts der dramatischen Entwicklung in Bosnien-Herzegowina hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Dienstag abend für eine Beschleunigung der Stationierung der 14.000 Mann starken Friedenstruppe ausgesprochen. Die Blauhelme sollen bis Mitte Mai nun allesamt in ihren Einsatzgebieten sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen