■ ARTUR, BERLINOID: Arbeit und Leben
Ich hatte, lächelt Zora vielsagend, schon immer mit jenen zu tun, mit denen auch kein Staat mehr zu machen ist, als ganz junge Frau schon.
Der Knabe damals hieß Bruno, war fünfzehn, und der Lehrer hatte seinen Eltern geraten, ihn ein Handwerk lernen zu lassen, das sei das beste für ihn. Und sein Onkel Herrmann, der noch als Volkssturmmann mit einem Eimer Sand sein deutsches Vaterland hatte retten wollen, Onkel Herrmann hatte ihm zackig die Hand gedrückt und triumphierend bemerkt: »Feuchte Hände hat er nicht, laßt ihn mal Werkzeugmacher werden, das ist ein Beruf mit Zukunft!«
Und mein Bruno, sagt Zora, Bruno lernte, wie man die Werkstatt ausfegt, Nippel abschmiert und Bier holt und wie er mit Reinol seine öligen Hände wieder halbwegs sauber hinkriegt.
Das Elend dauerte drei zähe Jahre, strich sich Zora über die rote Mähne, und wir haben immer und immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, etwas Überzeugenderes zu finden: Lieber vierzehn Tage nachdenken, als ein Leben lang arbeiten! — Bruno hatte ein ausgeprägtes musikalisches Talent.
Ja, fuhr sie fort, in dramatischen Situationen muß man sich selbst prinzipenfest zeigen, und manchmal ist die Kirche zu was nutze dabei!
Eine schrumpfende Gemeinde im Norden Berlins suchte dringlich Nachwuchs für den protestantischen Bläserchor und die haben ihn, lächelt Zora nachsichtig, freundlich und schnell überzeugen können, daß das Trompetenspiel das Richtige für den Bruno sei. Rührend kümmerten sich die Gemeindemitglieder um ihn, schickten ihn zu Unterweisungen, und er fand Gefallen an der Kirchenmusik. Bruno machte außerordentliche Fortschritte auf seinem Instrument, sagte Zora. Bald schon konnte er nicht nur »Tochter Zion, freue dich!«, sondern auch »Ich glaube an die Macht der Liebe« aus voller Brust schmettern und dazu, lachte sie, außerhalb der kirchlichen Aufsicht, die »Reveille« und schmissige Kampflieder der Arbeiterklasse. Das muß so kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag gewesen sein.
Und zu Weihnachten wurde vom Kirchenturm herunter trompetet und posauniert. Alles ging normal ab bis zur Feier des Bläserchores.
Bruno hatte zu beherzt von den Liebesgaben der älteren Gemeindemitglieder, nämlich Eierlikör, genascht. Zu vorgerückter Stunde nun hatte er, dem das Herz voll war, die Melodie vom Kommissar Hans Beimler trompeten wollen, da, wie man so sagt, ging ihm der Mund über. Er setzte die Trompete an und merkte im gleichen Augenblick: es wird ihm kein Ton gelingen. Es brach förmlich alles aus ihm heraus.
Das Unglück wollte, daß ein Chorkollege seine Tuba neben ihm an der Wand abgestellt hatte. Jener Mensch, obwohl gereift und fest im Glauben, hat dem Bruno nie die drei Tage verzeihen können, die erforderlich waren, sein Instrument wieder zu reinigen.
Bruno spielt nicht mehr Trompete seitdem. Er hat sich der Aquarellmalerei zugewandt und auch damit schöne Erfolge. Clemens Walter
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