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40 türkische Kurden im Hungerstreik

■ Seit einer Woche protestieren 40 Berliner Kurden mit einem Hungerstreik gegen die Massaker der türkischen Armee/ Freunde und Verwandte wurden in Kurdistan verhaftet oder getötet

Wedding. »Wo bleibt die Weltöffentlichkeit?«, fragt ein bemaltes Bettlaken vor dem deutsch-kurdischen Stadtteilladen »Medya« in der Malplaquetstraße. Seit dem 6.April hält eine Gruppe von 40 Kurdinnen und Kurden den Weddinger Laden rund um die Uhr besetzt, um mit einem Hungerstreik gegen die Massaker der türkischen Armee in Kurdistan zu protestieren und die Berliner Bevölkerung aufzurütteln.

»Verhaftungen und Folter sind in Kurdistan noch immer der Alltag«, begründete Nihad Dal vom Hungerstreik-Komitee die Aktion. Nach wie vor setze das türkische Militär die verhökerten Waffen der NVA gegen die kurdische Zivilbevölkerung ein. Neben dem sofortigen Stopp der Übergriffe, einem Wirtschaftsboykott gegen die Türkei und der Entsendung einer Beobachterdelegation fordern die Hungerstreikenden die »Anerkennung des Selbstbestimmungrechts für das kurdische Volk«. Unabhängig von der Weddinger Aktion befänden sich Kurdengruppen auch in Köln und mehreren französischen Städten im Hungerstreik.

Nach eigenen Angaben gehören viele aus der Weddinger Gruppe zum Umfeld der nationalen Befreiungsfront ERNK. Dennoch handeln sie nicht allein aus politischer Überzeugung, sondern auch aus persönlicher Betroffenheit. »Viele haben Verwandte und Freunde in Kurdistan, die von der türkischen Armee verhaftet oder getötet worden sind«, sagte Nihad Dal.

»Für uns gibt es sicher weniger Leid als für die Menschen in Kurdistan«, antwortet die 25jährige Zeliha auf die Frage, warum sie ihre Gesundheit aufs Spiel setze. Obwohl sie selbst in türkischen Städten aufgewachsen sei, fühle sie sich »dem kurdischen Befreiungskampf eng verbunden«. Unter den Hungerstreikenden gehört Zeliha zu den Ältesten, der jüngste ist gerade mal 13 Jahre alt. Mit der Kurdengruppe solidarisiert hat sich der junge Italiener Roberto. »Ich versuche, den sozialen Alltag und den Gedanken des Internationalismus zusammenzubringen«, erklärte der 23jährige.

Um sich die Zeit zu vertreiben, singen die Hungerstreikenden auf ihrem Matratzenlager kurdische Lieder oder stellen die Tische auf die Straße und spielen Karten. »Dazwischen gibt es Vorträge über die neueste Situation in Kurdistan«, sagte Nihad Dal. Um sich zu informieren, seien sogar schon Türken in den Laden gekommen. »Uns geht es um Friedfertigkeit«, distanzierte sich der Komitee-Sprecher von Anschlägen anderer kurdischer Gruppen auf türkische Banken und Reisebüros. Hüseyin vom Medya-Projekt berichtet allerdings von Provokationen türkischer Jugendlicher: »Sie fahren mit ihren Autos zehnmal an unserem Laden vorbei und drehen die türkische Musik ganz laut auf.«

Obwohl sich die Hungerstreikenden der gesundheitlichen Risiken bewußt sind, lassen sie keinen Zweifel daran, daß sie ihre Aktion unbefristet fortsetzen wollen. »Ich werde erst wieder Nahrung zu mir nehmen, wenn die Bedingungen erfüllt sind«, kündigte Nihad Dal an. »Auch ich bin bis zum Schluß dabei«, meinte die 16jährige Schülerin Dilan, der es nach Auskunft des Komitee-Sprechers jederzeit frei steht aufzuhören. Die 20jährige Abiturientin Zozan, deren Kousine in Kurdistan verhaftet worden sei, ist sogar bereit, ihre Abschlußprüfungen ausfallen zu lassen. Doch Zozan ist zuversichtlich, daß die Forderungen der Kurdengruppe erfüllt werden: »Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, liegt es jedenfalls nicht an uns«. Micha Schulze

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