DEBATTE: Grüner Weg im schwarzen Land
■ Die CDU ist gescheitert. Die SPD ist in Krise. Was machen die Grünen?
Wieso denn „Krise des Parteiensystem“ oder gar „Krise des Parlamentarismus“? Grüne und Republikaner sind gut bedient worden bei der letzten Wahl, CDU und SPD dagegen schlecht. Wenn es denn im Beliebigkeitsjargon sein soll: allenfalls eine „Krise“ der Großen. Daß die sich mit dem „Parteiensystem“ und dem „Parlamentarismus“ verwechseln, wundert mich nicht mehr, eher schon, daß andere auf diesen Verwechslungstrick hereinfallen.
Vor den Strukturen, die am Umbau zu einem Fünfparteiensystem zweifellos mitwirken, sind es die Strategien, die eine neue Konstellation hervorgebracht haben. Dabei sind die Strategien der Großen noch allemal wichtiger als die Absichten der kleineren Flügelparteien, die sich in Form halten müssen, um von den Fehlern und Schwächen der Großen jederzeit profitieren zu können. Korrektivparteien an der Peripherie, tönerne Riesen im Zentrum — das ist die Lage im Parteiensystem.
Die Strategie der CDU im letzten drei Viertel Jahr hieß: Blockade möglicher praktischer Schritte in der Asylpolitik bei gleichzeitiger Benutzung des Themas in der wahlwirksam-verdummenden Vereinfachung auf eine Änderung des Art.16 Grundgesetz. Das sollte der Eigenprofilierung dienen, eine Wählerabwanderung nach rechts außen verhindern und die SPD schwächen, die in diesem Themenbereich uneinig und handlungsunfähig war. Außerdem sollte damit abgelenkt werden von den bis in die eigene Klientel hinein schwierigen Verteilungsfragen, bei denen der Vereinigungsprozeß nun unaufschiebbar angekommen ist. Diese Strategie der CDU ist gescheitert. Die CDU hat das fremdenfeindliche Potential, das sie an sich binden wollte, hochgeredet und legitimiert und — nicht zuletzt wegen eigener Untätigkeit — dem Rechtspopulismus in die Arme getrieben. Nur die Vertagung des Verteilungskampfes in den wahlfreien Zeitraum der anderthalb Jahre, die zwischen den vergangenen Landtagswahlen und dem Megawahljahr 1994 liegen, ist ihr gelungen. Die Zeit nach den Wahlen ist ja immer die Zeit der Grausamkeiten.
Die Krise der Großen ist — wenn schon — dann vor allem eine Krise der SPD. Sie ist Blutspenderin für alle möglichen Zwecke. Die postmaterialistisch-ökologisch Motivierten ihrer AnhängerInnen können jetzt auch wieder Grün wählen (wobei es bleiben dürfte, wenn nicht Lafontaine, der für die SPD kontraproduktiv und für die Grünen destruktiv ist, reaktiviert wird). Nicht wenige der in Einkommen, Ausbildung, Wohnverhältnissen, kultureller Perspektive Depravierten unter ihren WählerInnen gehen in ihrer politischen Entfremdung den Weg des Sozialprotests, wie er vom Rechtspopulismus mitintegriert wird. Bei ihrem wachstums- und aufstiegsorientierten Spektrum konkurrieren die Sozialdemokraten mit den bürgerlichen Parteien. Die Versuchung für die SPD wird groß sein, sich in den kommenden zwei Jahren auf Sozialprotest zu spezialisieren, es würde sie in ihren Möglichkeiten aber weiter reduzieren.
Das BRD-Parteiensystem drückt eine spezifische Arbeitsteilung aus. Die bürgerlichen Parteien konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf optimale Produktionsbedingungen, die SPD hat eine besondere Aufmerksamkeit für die Sozialverträglichkeit, die Grünen für die Umweltverträglichkeit der Produktion. Natürlich sind alle für alles zuständig, aber jedes dieser Großthemen kommt unter die Räder, wenn die wechselseitigen Korrekturmöglichkeiten ausbleiben. Jedes dieser Felder kennt auch seine spezifischen Formen von Protest. Der Kapital- und Produzentenprotest zeigt sich in Formen von Investitionsstreik und Auslandsverlagerungen, Steuerflucht und Steuerprotest, Erpressungen mit dem Arbeitsplatzargument und so weiter. Der Sozial- und der Ökoprotest haben geläufigere, „demokratischere“, hinter Sachzwängen nicht versteckbare Ausdrucksformen.
Der jederzeit latente, zeitweise manifeste Protest jedes dieser Sektoren wird durch die jeweils am besten verankerte Partei rationalisiert und gegen die anderen Interessen ausbalanciert. Durch den Vereinigungsprozeß sind diese Vermittlungs- und Balancierungsprozesse gestört. Die bürgerlichen Parteien glauben aufgrund ihrer politischen Siege 1990, die gesellschaftlichen Gewichte entscheidend zuungunsten der sozialen und ökologischen Kräfte und Interessen verschieben zu können. Da Steuer- und Deregulierungsprotest politisch nur begrenzt tragfähig sind, der Antikommunismus als Integrationsideologie ausgespielt hat, Sozial- und Ökoprotest ihr nicht zur Verfügung stehen; ist die CDU auf der Suche nach ihrem Populismus. Der Rechtspopulismus in seiner bürgerlich-nationalistisch-fremdenfeindlichen Variante gerät in Widersprüche zu Europäisierungs- und Internationalisierungszwängen, ohne die heute Wachstumsproduktion und rentable Kapitalverwertung nicht möglich sind. Die CDU bleibt unberechenbar, die SPD sucht eine attraktive Integrationsformel — was machen eigentlich die Grünen?
Das grün-schwarze Wendemanöver
„Grüner Weg durch schwarzes Land“ hieß der Tiel ihres schönen Bandes zum zehnjährigen Jubiläum in Baden-Württemberg — „durch“ hatte ich gelesen, nicht „ins“ schwarze Land. Und im Wahlprogramm überzeugte mich der Satz: „Falls bei entsprechendem Wahlausgang eine Ablösung der CDU-Landesregierung möglich wird, werden wir Grünen uns einer Regierungsbeteiligung nicht verschließen.“ So sehr ich verstehe, daß man in den Südstaaten, mit ihrer konservativen Hegemonie, als Grüne eine andere Beweglichkeit braucht als zum Beispiel in Hessen, wo an Rot-Grün nichts vorbeiführt, für so schlecht bedacht halte ich das grün-schwarze Wendemanöver.
Die anstehenden Inhalte können nicht tragen: die Ausländer- und Asylpolitik, die Atompolitik, die Frauenpolitik, der Schwangerschaftsabbruch (der den traditionalistischen Wertkonservativismus nicht nur in Memmingen auf die Palme bringt), die Müllpolitik mit dem Knackpunkt einer Sondermüllverbrennung — wo sollen eigentlich substanzielle, gemeinsame Projekte herkommen? Mit der dringend notwendigen Wende in der Verkehrspolitik zum Beispiel kann man auch in der Kommunalpolitik beginnen. Und im Bundesrat muß sich jede Landesregierung auch zu fast allen Fragen der Gesamtpolitik festlegen — was macht man denn da, ohne Dauerenthaltung, mit seinen zehn Prozent?
Die CDU ist gespalten, ihre andere Hälfte zieht es zur Befriedigung des rechtspopulistischen Protests (was ja auch die Parteilogik nach Wahlen auf seiner Seite hat). Ich halte es für eine Illusion, die CDU ausgerechnet in dieser Konstellation zu einem Modernisierungsschub bewegen zu können. Die rot-grünen Koalitionen Hessens und Berlins haben gezeigt, daß solche Koalitionen nicht tragfähig sind, wenn sie zum einen primär aus der Zufallssituation rechnerischer Mehrheiten heraus entstehen, nicht in und zwischen den Parteien vorbereitet und durch Wahl legitimiert werden, und wenn zum anderen das Bündnis mit den Grünen auf relevanten Widerstand in der anderen Partei stößt.
Eine solche Koalition überfordert auch die eigene Partei. Stuttgart ist nicht das Land, die Fraktion ist nicht die Partei, und die Realos sind auch nur eine, wenngleich zur Zeit dort relativ erfolgreiche Strömung. Die Aussicht auf bestenfalls marginale grüne Regierungserfolge und auf den Verlust eigener Identität, die sowohl ökologisch wie kulturell fundiert ist, muß eine Partei überfordern, die sich doch — zu Recht — immer gegen den Vorwurf gewehrt hat, nichts als eine ökologisch angestrichene FDP zu sein.
Die Republikaner rechtfertigen für die Grünen kein Not- oder Opfer- Bündnis. Die CDU und mit ihr die SPD sollen ihre Austauschbeziehungen mit dem nationalistischen und dem sozialen Zweig des Rechtspopulismus selbst regeln. Die Grünen mit ihrem Konzept multikultureller Gesellschaft sind hier Gegenpol, nicht Agenten fragwürdiger Kompromisse.
Es gäbe eigentlich nur eine Begründung für grün-schwarze Verhandlungen: sie als Manöver symbolischer Politik zu betreiben. Um die prinzipielle Regierungsbereitschaft der Grünen sichtbar zu machen, um die Überzeugungskraft vieler ihrer Lösungsvorschläge öffentlich zu verbreiten und um die Zahl der WählerInnen, die jetzt schon von der CDU zu ihnen gekommen sind, noch zu vergrößern. Um bei solch riskanter Strategie erfolgreich zu sein, braucht man eine relativ große Geschlossenheit der eigenen Partei und es muß — bei aller milden Form von Zweideutigkeit — ausgeschlossen sein, daß man eine Koalition letztlich eingehen würde. Nachrichten aus Stuttgart erwecken aber den Eindruck, daß die Grünen die Koalition wollen.
Modernisierungseuphoriker interessieren sich nur für die Vermehrung von Optionen. Die sozial- und umweltverträgliche Form der Modernisierung hat Bindungen und Optionen im Blick. Die Grünen haben sich erholt. Sie machen Zugewinne ohne Radikalismus und ohne Öko- Populismus. Sie sind dabei, das Regieren zu lernen, ohne auf das Programm eines „Konfliktbündnisses“ zurückzufallen. Sie sollten sich von ihrer Geduld nicht zu einem Regierungsbündnis hinreißen lassen, das in einem halben Jahr zerstört, was sie in zwölf Jahren aufgebaut haben. Joachim Raschke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen