piwik no script img

Durch den Putsch soll in Peru alles besser werden

Präsident Fujimori läßt alle Flughäfen und Parteibüros in Lima militärisch besetzen/ Parlament wählt im Untergrund Gegenpräsidenten/ Die Mehrheit der Peruaner begrüßt das Ende der „ineffizienten“ Legislative und „korrupten“ Justiz  ■ Aus Lima Ralf Leonhard

Das Büro der Nationalen Bauernorganisation (CCP) auf dem zentralen Platz des 2. Mai ist von Militärs abgeriegelt. Drei Uniformierte haben Samstag mittag in dem Büro Stellung bezogen und lassen niemanden hinaus oder hinein. „Das Haus soll durchsucht werden“, erklärt ein Soldat. Warum, weiß er nicht. Das Militär ist auf dem gesamten Platz aufgefahren; ein halbes Dutzend Panzerfahrzeuge steht um die Siegessäule in der Mitte herum. Vor dem nahe gelegenen Parteilokal der sozialdemokratischen APRA-Partei sperrt ein Panzer die Straße ab. Auch die Büros anderer Parteien und Gewerkschaften werden eine Woche nach dem Putsch von Präsident Alberto Fujimori von der Armee bewacht, genauso wie das Parlamentsgebäude und die Gefängnisse. Dennoch verschwand ein ehemaliger Anführer der marxistischen MRTA-Guerilla, Alberto Galvez Olachea, als er in ein anderes Zuchthaus verlegt werden sollte. Von den in der Putsch-Nacht festgenommenen Politikern ist nur mehr eine Handvoll in Haft. Die verhafteten Journalisten wurden freigelassen, die Pressezensur nach 48 Stunden aufgehoben.

Widerstand leisten jetzt vor allem die Parlamentarier. Donnerstag setzten sie in einer geheimen Sitzung Präsident Fujimori „wegen moralischer Untauglichkeit“ ab und ernannten den bisherigen zweiten Vizepräsidenten Carlos Garcia zum neuen Staatschef. Damit hat Peru zwei Präsidenten. Einen, der das Parlament auflöste und die Verfassung außer Kraft setzte, und einen anderen, der eben von diesem aufgelösten Parlament vereidigt wurde. Fujimori hat außer der Armeeführung einen Teil der Industriellen und der Unternehmerverbände hinter sich; der Geistliche Carlos Garcia kann auf die Unterstützung der politischen Parteien Perus und der internationalen Öffentlichkeit zählen. Doch Perus Öffentlichkeit, zumal in den Städten, steht vorerst hinter Fujimori.

Die Mehrheit begrüßt den Putsch

„Jetzt kommt endlich Geld ins Land“, hofft zum Beispiel ein arbeitsloser Familienvater, der das Treiben vor seiner Haustür beobachtet. „Höchste Zeit, daß diesen Nichtsnutzen im Parlament das Handwerk gelegt wird“, freut sich eine Hausfrau. Die beiden stehen mit ihren Ansichten nicht allein. Ende März war die Akzeptanz des Päsidenten in der Bevölkerung bereits auf 32 Prozent abgesackt. Nun ergaben neueste Meinungsumfragen unabhängiger Institute, daß 80 Prozent der Befragten aus Ober- und Mittelschicht mit der Auflösung des Parlaments einverstanden waren. In den Elendsvierteln von Lima stimmten immerhin noch 56 Prozent dafür. 89 Prozent der Befragten begrüßten die Aushebelung der Judikative. Das Mißtrauen gegenüber der demokratisch legitimierten Staatsgewalt in Peru ist schon seit langem ständig größer geworden. Die Richter, die aufgrund der Gesetzeslage und wegen unzureichender Beweise oft mutmaßliche Kriminelle und Guerillakämpfer freilassen müssen, gelten als subversiv. Zum Beispiel wird dem Obersten Gerichtshof vorgeworfen, ein parlamentarisches Verfahren gegen Fujimoris Vorgänger im Präsidentenamt, den APRA-Generalsekretär Alan Garcia, niedergeschlagen zu haben. Alan Garcia, unter dessen Regierung die Richter eingesetzt wurden, soll sich illegal bereichert haben.

Vor fünf Monaten begann dann ein Konflikt zwischen Regierung und Parlament. Fujimoris rechtsliberale Partei „Cambio 90“ verfügte nicht über die Mehrheit der Sitze im Parlament, war also auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Diese schwächte im Dezember ein Paket von 126 Dekreten ab, das dem Präsidenten und den Sicherheitskräften geradezu diktatorische Vollmachten bei der Terrorismusbekämpfung eingeräumt hätte. Ein Gesetz, das dem Staat Zugriff auf alle beweglichen und unbeweglichen Güter seiner Bürger verschafft hätte, wurde abgelehnt; ebenso ein Dekret, mit dem die Weitergabe und selbst der Besitz von Informationen über die Landesverteidigung unter Strafe gestellt werden sollte. Auch Wirtschaftsminister Carlos Bolona konnte seine neoliberale Politik, die auf Privatisierung und eine Verkleinerung des Staatsapparats abzielte, nicht im gewünschten Umfang durchsetzen - denn die Massenentlassungen trafen vor allem die Basis der linken Oppositionsparteien, auf deren Stimmen Fujimori im Parlament angewiesen war.

Gleichzeitig stand die Rückkehr des inzwischen von Korruptionsvorwürfen freigesprochenen ehemaligen Staatschefs Alan Garcia in den Senat bevor. Der charismatische Politiker, der sich erst jüngst an die Spitze seiner Partei putschte, hat damit nicht nur eine vom Parlament erhobene Anklage überstanden, sondern sich auch von dem Prestigeverlust erholt, den ihm seine katastrophale Regierungspolitik von 1985 bis 1990 eingebracht hatte.

Jetzt schickt sich Alan Garcia an, den Boden für seine Wiederwahl im Jahre 1995 zu bereiten. In der Putsch-Nacht entging er knapp einer Verhaftung und wird nun im Untergrund zum Symbol des Widerstands. Auch Fujimoris Gegenpräsident und vormaliger Stellvertreter, Carlos Garcia, tauchte unter, da er ein Attentat der maoistischen Rebellen des „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) fürchtete. Er rief alle Bürger und verfassungstreuen Mitglieder der Armee zur Einheit im Kampf für den Rechtsstaat auf. Die „Ineffizienz“ des Parlaments und die Korruption in Verwaltung und Justiz rechtfertigten nicht Fujimoris Vorgehen.

Für den Putsch ausschlaggebend dürfte jedoch die Unzufriedenheit innerhalb des Militärs gewesen sein. In der Armee gärte es wegen der schlechten Besoldung schon lange. Als die Polizei für den 10. April einen nationalen Streik androhte, deutete die Armeeführung an, sie könne nicht garantieren, daß sie Revolten unter Kontrolle bringen könne. Dazu kommt die Frustration der Armee, die sich in ihrem aussichtslosen Kampf gegen den „Sendero Luminoso“ von den demokratischen Instanzen behindert fühlt. Der ständig wachsende Einfluß der maoistischen Guerilla reicht inzwischen bis in die städtischen Elendsviertel, und durch die jüngsten Ereignisse konnte sie ihre Stellung sicher weiter festigen.

Während die Polizei mit der Bewachung der verschiedenen Parteilokale und der unter Hausarrest stehenden Parlamentarier beschäftigt war, sprengten die Rebellen mittels eines mit 100 Kilogramm Dynamit beladenen Lasters den Polizeiposten des Elendsviertels Villa El Salvador in die Luft und töten zwei Polizisten in der Innenstadt.

Fujimori, der gegen die Korruption der Parteien und Richter wettert, steht allerdings selber im Zwielicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen enge Verwandte des Staatschefs wegen Veruntreuung von Spenden. Am Dienstag sollte die Präsidentin des Rechnungshofs, Aurea Saenz, vor einem Parlamentsausschuß darüber berichten, daß transnationale Unternehmen vermutlich Steuerbetrug begehen und ihn anschließend vertuschen. Saenz wurde inzwischen abgesetzt, die Untersuchung gegen die Fujimoris eingestellt.

Am Mittwoch trat Fujimori bei einem Festakt der Exporteursvereinigung ADEX erstmals nach dem Putsch wieder an die Öffentlichkeit. Vage kündigte er die Rückkehr zur Verfassung an und versprach energische Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise, den Drogenhandel, den Terrorismus und die Korruption. Der Präsident der Industriellenkammer beglückwünschte den Staatschef, und die Unternehmerverbände meldeten den Wunsch an, am „Wiederaufbau“ des Landes und der Wirtschaft beteiligt zu werden.

Um die Effizienz seiner neuen Politik unter Beweis zu stellen, senkte Fujimori die Preise für Eier und Hühnerfleisch. Außerdem versprach er Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst, die aus dem Budget des aufgelösten Parlaments finanziert werden sollen. Neue Verordnungen kündigen harte Strafen für Drogenhändler an. Die Region Alto Huallaga, das größte Koka-Anbaugebiet Perus, wird inzwischen vom Militär kontrolliert. Alle illegalen Landepisten im Huallaga-Tal sowie die Flughäfen des gesamten Landes befinden sich in den Händens des Heers und der Luftwaffe. Die Regierung drohte, jedes Flugzeug abzuschießen, daß sich nicht eindeutig zu erkennen gebe. In der südlichen Provinz Ayacucho, der Hochburg des „Sendero Luminoso“, übernahmen die Streitkräfte auch verstärkt die politische Kontrolle.

Doch viele Beobachter halten diese Aktionen für Schaumschlägerei. Denn die Militärs, die selbst in Drogengeschäfte verwickelt sind, sitzen weiter fest im Sattel. Der Abteilungsleiter für Lateinamerika im US-Außenministerium, Bernard Aronson, wurde mit einer Liste von 147 korrupten Militärs in der Tasche in Lima vom Putsch überrascht. Er hatte die Leistung der versprochenen Wirtschaftshilfe der USA von der Untersuchung dieser Fälle abhängig gemacht. Inzwischen hat die Regierung in Washington bis auf die humanitäre alle Unterstützung eingestellt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen