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10.000 Flüchtlinge auf dem Weg zur Küste

■ Verfeindete Volksgruppen von Bosnien-Herzegowina unterzeichneten ein gemeinsames Abkommen

Sarajevo (ap/taz) — Die jugoslawische Bundesarmee hat nach Angaben von Radio Sarajevo gestern früh zwei Städte im Süden von Bosnien- Herzegowina bombardiert. Betroffen waren Capljina an der Verbindungsstraße nach Mostar und Neum an der Adriaküste, in denen mehrheitlich Kroaten leben. Kurz nach dem Angriff brachen rund 10.000 Flüchtlinge aus den Kampfgebieten in Richtung Küste auf. Die lokalen Behörden haben an die EG, an das UN-Flüchtlingskommissariat und die bosnische Regierung appelliert, Hilfe zu organisieren. Vor allem fehle es an Nahrungsmitteln.

Schon in der Nacht zum Sonntag war die Brücke über den Fluß Neretva bei Jablanica (80 Kilometer südwestlich der bosnischen Hauptstadt Sarajevo) durch eine Sprengung schwer beschädigt worden. Der Straßenverkehr zwischen Sarajevo und Mostar ist seitdem unterbrochen.

Wegen der schweren Kämpfe in Bosnien-Herzegowina wird UNO- Generalsekretär Butros Ghali den früheren US-Außenminister Cyrus Vance als Sonderbeauftragten in die Krisengebiete schicken. Das teilte Ghali am Wochenende in Genf mit. Voraussichtlich wird Vance bereits am Dienstag in Jugoslawien eintreffen.

Unterdessen haben sich in Bosnien-Herzegowina die verfeindeten Volksgruppen nach Angaben eines Serbenführers unter Vermittlung der EG auf ein neues Abkommen zur künftigen Struktur des Landes geeinigt. Die Kämpfe im Laufe des Sonntags wieder ab. Mit Vertretern der Serben, Kroaten, Muslimanen und der Bundesarmee sprach am Samstag der portugiesische Diplomat José Cutileiro, dessen Land zur Zeit die EG-Präsidentschaft innehat.

Cutileiro war am Freitag abend in Sarajevo eingetroffen, um die verfeindeten Gruppen im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft zur Einstellung der kriegerischen Auseinandersetzungen zu bewegen. Der Serbenführer Radovan Karadzic teilte nach den Gesprächen mit, alle beteiligten Gruppen hätten sich darauf verständigt, Arbeitsgruppen einzusetzen, „die schon bald damit beginnen, eine neue Landkarte von Bosnien-Herzegowina zu zeichnen“. Diese werde sich an den ethnischen Regionen orientieren. Die Polizei der jeweiligen Gebiete werde diese in Zusammenarbeit mit der jugoslawischen Armee kontrollieren. Sarajevo werde nicht geteilt, sondern nur „reorganisiert“, da die Stadt auf der Grenze zwischen serbischem und moslemischem Gebiet liege, sagte Karadzic.

Die jugoslawische Luftwaffe evakuierte am Samstag 90 Deutsche aus Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Die Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ meldete, die Deutschen seien nach Belgrad ausgeflogen worden. Bei ihnen handelte es sich um Ingenieure, die in der Autofabrik TAS in Vogosca, in der Nähe Sarajevos, arbeiteten, und deren Familien. Die Deutschen hatten bereits in der vergangenen Woche, als sich die Spannungen in der Stadt verschärften, darum gebeten, Sarajevo verlassen zu dürfen.

Auch Israel hat inzwischen einen Evakuierungsplan für die rund 5.500 in Jugoslawien lebenden Juden ausgearbeitet, falls sich die Kämpfe dort verschlimmern sollten. Wie aus israelischen Medienberichten vom Sonntag hervorging, hat die jüdische Einwanderungsbehörde einen Abgesandten nach Belgrad geschickt, nachdem etwa 180 Juden wegen der Kämpfe in Sarajevo nach Belgrad geflüchtet waren.

Doch nicht nur in Bosnien-Herzegowina ist die Lage für Ausländer gefährlich. In zwei kroatischen Orten, Sinji und Metkovic, im Hinterland der Adriaküste, ist am Samstag allgemeiner Alarm ausgelöst worden. In Sinji war der Alarm am Nachmittag ausgelöst worden, nachdem aus dem weiter nördlich gelegen Wasserkraftwerk von Peruca „starke Explosionen“ zu hören gewesen seien. Das Kraftwerk ist seit Monaten von der jugoslawischen Armee besetzt.

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