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Wirtschaft weiter auf Rezessionskurs

■ Konjunkturforscher prognostizieren für Westdeutschland ein Wachstum von einem Prozent/ Ostdeutsche Wirtschaft soll um 10,5 Prozent zulegen/ Kritik an hohen Zinsen und Lohnpolitik

Bonn/Paris (dpa/ap/taz) — Die westdeutsche Wirtschaft geht weiter auf Talfahrt: Das Wirtschaftswachstum im Westen wird in diesem Jahr auf real ein Prozent zusammenschrumpfen, prognostizieren die fünf führenden Konjunkturforschungsinstitute. Im letzten Jahr betrug die Wachstumsquote noch 3,1 Prozent. Für Gesamtdeutschland, haben die Wirtschaftsexperten errechnet, ergebe sich ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent nach lediglich 0,2 Prozent im letzten Jahr.

In ihrem traditionellen Frühjahrsgutachten, das heute Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann in die Hand gedrückt wird, machen die Institute für die neuen Bundesländer einen deutlichen Aufwärtstrend aus: Die ostdeutsche Wirtschaft wird den Prognosen zufolge um 10,5 Prozent wachsen — allerdings auf einer niedrigen Vorjahresbasis. 1991 war das dort erwirtschaftete Bruttosozialprodukt um 30,3 Prozent zurückgegangen. In Ostdeutschland sei es noch nicht zu einem sich selbst tragenden Aufschwung gekommen, urteilen die Experten. Die Umstellung der Wirtschaft habe zwar weitere Fortschritte gemacht; doch die regionalen und sektoralen Probleme seien weiter „eklatant“.

Auch bei den Verbraucherpreisen und der Arbeitslosikgkeit gelangen die Konjunkturforscher zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Inflationsrate klettert der Prognose zufolge auf 3,75 Prozent, die gesamtdeutsche Arbeitslosenquote auf 8,1 Prozent. Dabei erhöht sich die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland von knapp 1,69 Millionen auf 1,78 Millionen und in Ostdeutschland um über 400.000 auf 1,35 Millionen.

Hinsichtlich des Konjunkturverlaufs sind sich die Institute noch nicht ganz im Klaren. Es sei nicht eindeutig ersichtlich, ob sich der Abschwung weiter fortsetze oder der Wendepunkt bereits erreicht sei, schreiben die fünf Institute, zu denen das Hamburger HWWA-Institut, das Kölner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Münchner Ifo-Institut und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung zählen. Der Lohnpolitik wird eine Schlüsselrolle zugewiesen: Mit maßvollen Lohnabschlüssen lasse sich eine rasche Überwindung der Flaute erwarten, so die Forscher. Für Ostdeutschland wird eine verlangsamte Anpassung an westdeutsches Lohnniveau verlangt. Ihrer Prognose haben die Wissenschaftler Lohnerhöhungen von sechs Prozent unterstellt.

Auch die Weltkonjunktur kommt nach Auffassung der Institute nur zögernd in Schwung. Während frühestens im Verlauf des Jahres in den USA und in Japan mit einer Belebung der Konjunktur zu rechnen sei, geben sich die Institute bei Prognosen für Westeuropa noch zurückhaltend. Nur bei einer „nennenswerten Ermäßigung des Zinsniveaus in Deutschland“ halten die Wirtschaftsforscher dort eine durchgreifende Belebung der Konjunktur für möglich. Auf einem Treffen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris erklärte dagegen Bundesbank-Vizepräsident Hans Tietmeyer, es sei bei den Fachgesprächen keine Kritik an der Hochzinspolitik der Bundesbank laut geworden. Die anwesenden Vertreter der Finanzminsterien und Notenbanken aus zehn Ländern hätten darin übereingestimmt, daß für eine Konjunkturbelebung durch monetaristische Maßnahmen kein wirklicher Spielraum mehr vorhanden sein. Vielmehr sollten die jeweiligen Regierungen erst einmal ihre Haushalte konsolidieren, unnötige Subventionen streichen, die staatliche Beteiligung an Industriebetrieben abbauen und den Arbeitsmarkt flexibler machen. es

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