piwik no script img

Frauenpolitik steht an erster Stelle

■ Serie: Berlin vor den Kommunalwahlen (Teil 15)/ Charlottenburg hat die profilierteste Frauenpolitik von ganz Berlin/ Gute fraktionsübergreifende Zusammenarbeit

Charlottenburg. »Der Bürgermeister« verkünden goldene Buchstaben über dem Vorzimmer im Charlottenburger Rathaus die ewige Wahrheit, daß dies nur ein Mann sein kann. Unvorhergesehenerweise handelt es sich aber um eine Frau: Die Sozialdemokratin Monika Wissel ist eine von insgesamt nur drei weiblichen Bezirksvorstehern in ganz Berlin. »In der Verwaltung glaubt man wohl«, lächelt sie, »es lohne sich nicht, das Schild auszuwechseln.« Sie aber ist entschlossen, Bürgermeisterin zu bleiben, wenn es denn die Wählerin und der Wähler will. »Wissen Sie«, sagt Monika Wissel, »vieles schafft man gar nicht in der ersten Legislaturperiode.«

Daß sie sich zu Beginn ihrer Amtszeit vorgenommen hat, sich für die Interessen der Frauen stark zu machen, merkt man aber schon jetzt. Ihr und einer Reihe anderer Damen ist es zu verdanken, daß Charlottenburg die profilierteste Frauenpolitik von ganz Berlin vorzuweisen hat — vom Frauenbadetag über die Veranstaltungsreihe »Charlottenburger Frauenfrühling« bis zur Frauenförderung in Privatbetrieben und anderem mehr. Um beim letzteren zu bleiben: Zusammen mit der ihr direkt unterstellten Frauenbeauftragten Brigitte Kippe (CDU) hatte sie Charlottenburger Betriebe zu einem Rundem Tisch eingeladen, um zu diskutieren, wie der Frauenanteil bei ihnen erhöht werden könnte. Freiwillig, versteht sich. Denn anders als in der Verwaltung, wo sich eine extra freigestellte Frauenvertreterin für die gleichberechtigte Besetzung der Stellen stark macht, können PolitikerInnen auf die Quotierung in der Privatwirtschaft keinen rechtlichen Einfluß ausüben.

Solche Ideen sind typisch für die 47jährige Bürgermeisterin mit den energischen Bewegungen und dem offenen Gesicht unter kurzen grauen Haaren. Glaubt sie an einen weiblichen Führungsstil? »Oh ja. Allerdings: Kooperation praktizieren auch Männer. Aber Frauen ordnen sich weniger den Sachzwängen unter und suchen mehr nach neuen Wegen.« Dazu gehört für sie auch, »daß sich die Betroffenen selbst an den Entscheidungen beteiligen können.«

Mit den neuen urbanen Veränderungen Charlottenburgs seit dem Mauerfall sind jedoch keineswegs alle Betroffenen zufrieden. Eine ganze Anzahl klotziger Neubauten sind geplant. Auch Monika Wissel gesteht hier ein, »nicht glücklich« darüber zu sein, daß »in Charlottenburg mehr verdichtet wird als nötig«. Aber Büroräume würden dringend benötigt, und aufgrund des »mit heißer Nadel gestrickten Einigungsvertrages« und der damit einhergehenden schwierigen Klärung der Eigentumsverhältnisse sei das Bauen im Westen nunmal einfacher als im Osten. Wenigstens aber besteht sie darauf, daß die Kleingärten am Rande erhalten bleiben und bei höchstens siebengeschossigen Neubauten die Berliner Traufhöhe »plus ein Satz drauf« eingehalten werden muß. Einzige Ausnahme soll das »Zoofenster« mit geplanten 78 Meter Höhe bleiben, das Bausenator Nagel mit einem Sonderparagraphen genehmigen will, allerdings hat hier das Charlottenburger Rechtsamt starke Bedenken angemeldet. Außerdem will sie für das Zoofenster und den neuen »Teleport« am Busbahnhof ZOB durchsetzen, daß dort Geschäfte und Restaurants einziehen, damit die Gegend abends belebt bleibt und Frauen dort keine Angst haben müssen.

Wenn Männer jedoch von solchen Vorschlägen hörten, »dann lächeln sie und können das gar nicht richtig nachempfinden.« Auch deswegen sei es so wichtig, daß Frauen mittels Quotierung in allen politischen Bereichen vertreten seien. Das heiße für sie aber auch: »Immer dran bleiben, immer wieder nachfragen und die Verwaltung überzeugen, auch wenn das manchmal länger dauert.«

Dazu gehört aber auch eine kooperative Vernetzung zwischen den Frauen in politischen Ämtern, die in Charlottenburg ebenfalls weiter entwickelt scheint als anderswo. Weiblich angeführt werden neben dem Bürgermeisteramt und dem Amt der Frauen- und der Ausländerbeauftragten auch das Heimatmuseum, das Kunstamt und die Volkshochschule. Die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit der Frauen in der BVV verläuft ebenfalls überdurchschnittlich gut, allerdings fühlt sich Monika Wissel der AL »näher« als der CDU. Mit 15 Frauen und 29 Männern ist der weibliche Anteil im Bezirksparlament zwar nicht gerade berauschend, aber höher als vielerorts, und nach den kommenden Wahlen wird er wohl noch ansteigen, da SPD und AL ihre von ein beziehungsweise zwei Spitzenkandidatinnen angeführten Listen streng quotiert haben.

Bei der CDU sieht dieses Verhältnis schlechter aus, das gibt auch Brigitte Kippe offen zu. Überhaupt paßt die Frauenbeauftragte, die im Gegensatz zu vielen anderen Bezirken der Bürgermeisterin direkt unterstellt ist und mit ihr »vertrauensvoll zusammenarbeitet«, gar nicht recht in das Klischee einer CDU-Frau. Nicht nur, weil sie ähnlich offen und herzlich wirkt wie ihre Chefin, sondern auch, weil sie sich mit aller Energie der Tabuthemen der heiligen Familie annimmt: Gewalt und sexueller Mißbrauch. Unterstützt von Monika Wissel, gründete sie im Juli 1989 eine »Vernetzungs-AG«, in der sich BezirksmitarbeiterInnen von der Arzthelferin bis zum Schulpsychologen ressortübergreifend des Themas annahmen und ein umfassendes Rahmenprogramm für die im März 1990 eröffnete Ausstellung »Sexueller Mißbrauch an Mädchen« erarbeiteten. Die Arbeitsgemeinschaft trifft sich immer noch, und Brigitte Kippe ist zu Recht darauf stolz, »daß Charlottenburg hier eine Vorbildfunktion einnimmt«. Auch im Hinblick auf mißhandelte Frauen hatte Brigitte Kippe jüngst einen kleinen Erfolg aufzuweisen: Für sie wurde eine kleine Notwohnung angemietet, eine zweite soll bald folgen. Beate Philipp (AL), Vorsitzende des Frauenausschusses, ist damit jedoch keineswegs zufrieden. Sie fordert große Wohnungen, da sonst »die Isolation der Frauen nicht aufgehoben« werde.

Gegenüber der autonomen Frauenbewegung kennt Brigitte Kippe ebenfalls keine Berührungsängste. Zusammen mit der Sozialdemokratin Monika Wissel, der ALerin Beate Philipp und den autonomen Frauen vom »FFBIZ« war die CDU-Frau Mitbegründerin des Vereins »Sophia Lotta«, der in Charlottenburg ein Haus für diverse Fraueninitiativen eröffnen möchte. »Wir arbeiten ganz hervorragend zusammen«, stellt sie zufrieden fest. Und: »Im Überfraktionellen sehe ich einen ganz großen Gewinn für die Frauenpolitik«.

Brigitte Kippe — verheiratet, zwei Kinder — geht so sehr in ihrem Beruf auf, daß sie am Internationalen Frauentag sogar ihren Hochzeitstag vergaß. »Mein Mann mußte mich erst wieder daran erinnern«, lacht sie, »sonst ist das ja eher umgekehrt.« Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen