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INTERVIEWDer Staat darf sich keine Fehler mehr leisten

■ Die grüne Politikerin Antje Vollmer drängt darauf, die Chance zu einer politischen Lösung nicht zu verspielen

taz: Frau Vollmer, Sie haben sich in den letzten Jahren wiederholt für ein Ende des bewaffneten Kampfes eingesetzt. Mit der neuen Erklärung der Rote Armee Fraktion ist das jetzt in greifbare Nähe gerückt. Sind sie erleichtert?

Antje Vollmer: Auf jeden Fall. Das ist immerhin das härteste und längste Stück politische Arbeit, an dem ich bisher beteiligt war. Trotzdem ist auch für mich der „Anfang vom Ende“, für den ich diese Erklärung halte, etwas überraschend gekommen.

Auf das Eingeständnis, daß der bewaffnete Kampf als politisches Konzept gescheitert ist, warten Sie und mit ihnen viele seit Jahren. Auffällig ist, daß diese Erklärung jetzt von den Untergetauchten und nicht aus den Gefängnissen kommt.

Das war auch für mich erstaunlich. Ich habe mich mit meinen Initiativen in den letzten Jahren an die Gefangenen gewendet, weil ich dachte, mit ihnen kann man am leichtesten in einen Dialog treten. Dieser Dialog hat aber offensichtlich jetzt an ganz anderer Stelle begonnen, im Umkreis der RAF-Leute. Sie selbst beziehen sich in ihrem Schreiben auf Diskussionen in Befreiungsbewegungen, wen auch immer sie damit meinen. Ich denke, daß es sich dabei um Diskussionen mit palästinensischen Gruppen oder mit den Revolutionären Zellen handelt.

In der RAF-Erklärung stehen sehr schöne Sätze, wie „Dieses ist nur der Anfang“, „wir werden demnächst genauer und über alles reden.“ Das ist vielversprechend. Besonders wichtig ist die Passage, in der sie sagen, daß sie sich vom Alltag meilenweit entfernt haben und daß sie den elitären Avantgarde-Anspruch aufgeben. Gut ist auch, daß die Untergetauchten mit ihrer Erklärung die Gefangenen aus der Loyalitätsfalle entlassen.

Die RAF hat offensichtlich das Signal von Bundesjustizminister Kinkel aufgenommen, der eine vorzeitige Haftentlassung für RAF-Gefangene in Aussicht gestellt hat. Die RAF hat nun eine zügige Umsetzung der Kinkel-Pläne eingeklagt. Nicht zu Unrecht beklagten die Illegalen, daß in dieser Richtung bisher nur wenig geschehen ist. Ist der Staat dabei, eine historische Chance zu verspielen?

In der jetzigen Situation führen tausend Wege zu einer politischen Lösung. Der einzige, der das noch verpassen kann, ist der Staat. Tatsächlich ist das, was Kinkel vorgeschlagen hat, nur unzureichend umgesetzt worden. Bisher ist lediglich Claudia Wannersdorfer vorzeitig entlassen worden, was einige Monate später sowieso geschehen wäre. In der Umsetzung der Kinkel-Initiative liegen die möglichen Stolpersteine. Dabei darf man sich wirklich keine Fehler mehr leisten. Auch nicht auf den mittleren juristischen Ebenen. Wer jetzt noch idiotische Gutachter beauftragt oder sich von Prüfaufträgen abhängig macht, der verspielt diese Chance mutwillig. Ein Scheitern würde dann auf staatlicher Seite seine Ursache haben. Das darf die Öffentlichkeit nicht durchgehen lassen.

Die Kinkel-Initiative ist aber keineswegs so konsistent, wie sie dargestellt wird. Während einerseits über die Haftentlassung einiger Gefangener diskutiert wird, werden andererseits neue Gerichtsverfahren auf Grund der Aussagen der RAF-Aussteiger eingeleitet.

Man muß die Lage politisch analysieren. Ich halte die militante Auseinandersetzung für ein Gespenst aus der alten Bundesrepublik. Es gehören schon ziemlich viele künstliche Animationsversuche dazu, das Gespenst am Leben zu erhalten. Wenn sich die ganze Welt geändert hat, wenn es nicht einmal eine Rote Armee mehr gibt, dann ist es eine ziemlich absurde Geschichte, an einer Rote Armee Fraktion festzuhalten. Bei einem nun möglichen Ende des Konfliktes aber zu sagen, die Karawane zieht weiter, der Rechtsstaat zieht weiter, ohne nach rechts oder links zu gucken, wäre eine grobe unpolitische Stumpfheit. Wenn man wirklich ein Ende der Gewalttätigkeiten hat, dann kann man auch mit rechtsstaatlichen Mitteln sehr viel dafür tun, daß die Gefangenen nicht bis kurz vor ihrer Rente in Haft bleiben müssen.

Die Untergetauchten formulieren eindeutig auch nur Forderungen für die Inhaftierten. Alles was sie fordern, hat Kinkel schon vorgeschlagen. Das geforderte „Zusammenkommen“ der Gefangenen kann man beispielsweise sofort zulassen, wenn man die „Garantie“ hat, daß draußen keine Anschläge mehr passieren.

Wenn nach über 20 Jahren der bewaffnete Kampf eingestellt wird, wird der Raum frei, über 20 Jahre politisch motivierten Extremismus nachzudenken und diesen aufzuarbeiten.

Voraussetzung für eine Versöhnung ist erst einmal eine Form der Selbstveränderung. Meine Kampange hat darauf gezielt, beiden Seiten deutlich zu machen, daß sie sich auch anders verhalten können, als sie es gewohnt sind. Diese Veränderungen hat es Schritt für Schritt immer wieder einmal gegeben, am deutlichsten jetzt in der neuen Erklärung der RAF. Man darf eine Versöhnung aber nicht als Nivellierung mißverstehen. Man wird die RAF nicht als gefügige Kinder dieser Gesellschaft haben können, die sich in einen pädagogischen Lernprozeß begeben. Wir werden sie wohl immer als intellektuell-militante Kritiker erleben. Es kommt aber darauf an, ob sie ihre tödliche Praxis ändert — und genau das hat sie angekündigt.

Für den Fall, daß Kinkels Pläne scheitern, hat die RAF erklärt, „nicht tatenlos“ zusehen zu wollen und angekündigt: „dann müssen sie wissen, daß ihre Eliten auch nicht leben können“.

Es wäre in der Tat ein tragisches Ergebnis, weil es hieße, daß der Stumpfsinn triumphiert und Politik nicht mehr möglich ist, selbst wenn sie eine große Chance hat. Ich glaube aber, daß Politiker und Wirtschaftsleute jetzt erst einmal das Gefühl auskosten müssen, was es heißt, aus den gepanzerten Limousinen und aus den Personenschutzmaßnahmen aussteigen zu können. Interview: wg

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