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Polizeieinsatz gegen Hungerstreikende

■ Zwei der vor elf Tagen in Hungerstreik getretenen Kurden verweigern nach Schwächeanfall ärztliche Hilfe/ Notarzt alarmiert Polizei/ Sozialstadtrat Nisbl (SPD) erklärt sich mit Hungerstreik solidarisch

Wedding. Die Situation im deutsch- kurdischen Stadtteilladen »Medya«, in dem sich seit elf Tagen vierzig Kurden im Hungerstreik befinden, spitzt sich zu. Zwei der Hungerstreikenden, die gegen die Massaker der türkischen Armee in ihrem Heimatland protestieren, erlitten gestern morgen einen Schwächeanfall. Nach Auffassung eines von der Kurdengruppe gerufenen Notarztes schweben die beiden in Lebensgefahr und müssen dringend im Krankenhaus behandelt werden.

Da sich die beiden Hungerstreikenden gegen die angeordnete Einlieferung ins Krankenhaus sträubten, kam der Notarzt seiner ärztlichen Pflicht nach und alarmierte die Polizei. Gegen 9.30 Uhr fuhren drei Einsatzbereitschaften, mehrere Funkwagen und Zivilstreifen vor dem Kurdenladen auf. Nach Aussagen von Anwohnern verschafften sich rund 20 Beamte in Kampfuniform gewaltsam Zutritt. Da sich mehrere Kurden den Polizisten entgegenstellten, kam es zu Rangeleien, in dessen Verlauf ein Hungerstreikender verletzt wurde. Nach Verhandlungen mit dem Einsatzleiter konnte jedoch erreicht werden, daß die beiden angeblich Lebensgefährdeten von einem Amtsarzt erneut untersucht wurden. Bei dieser Untersuchung hätten sich nach Angaben eines Komitee-Sprechers die Befürchtungen des Notarztes nicht bestätigt.

Der katholische Kurdenseelsorger Petrus verurteilte den Polizeieinsatz als »völlig sinnlos, überzogen und kontraproduktiv«. Allerdings habe sich das Verhältnis der Kurdengruppe zur Polizei schon seit vorher verschlechtert. Zu Beginn des Hungerstreiks seien die Beamten noch ihrem Wunsch nachgekommen und hätten die Parkplätze vor dem Stadtteilladen zum Schutz vor türkischen Extremisten und als Platz für Tanz und Spiel gesperrt. Am Montag sei die Sperrung jedoch ohne Begründung aufgehoben worden, sagte Petrus. Auch der Ton der Beamten habe sich »sehr zum Negativen verändert«.

Um sich vor Ort zu informieren und zu vermitteln, schauten gestern Nachmittag der Weddinger Sozialstadtrat Hans Nisbl (SPD) und die bezirkliche Ausländerbeauftragte Christiane Heeseken im Kurdenladen vorbei. »Ich habe volle Sympathie für Ihre Aktion und teile Ihre Sorge, daß die Weltöffentlichkeit zur Tagesordnung übergeht«, erklärte sich Nisbl mit den Zielen des Hungerstreiks solidarisch. Der SPD-Politiker verurteilte in scharfer Form das Vorgehen der türkischen Regierung und setzte sich für das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes ein. Dennoch forderte Nisbl die Hungerstreikenden auf, ihre Aktion abzubrechen: »Mit Ihrem hervorragenden Engagement werden Sie bei bester Gesundheit gebraucht.«

Ein Sprecher des Hungerstreik- Komitees erklärte unterdessen, die Aktion so lange fortzuführen, »bis wenigstens die Nahziele erreicht sind«. Es hätten sich sogar 200 weitere Kurden gemeldet, die sich an der Aktion beteiligen wollten. Angesichts der schon jetzt beengten Verhältnisse, versprachen Sozialstadtrat Nisbl und der katholische Pfarrer der Sankt-Josephs-Gemeinde Konrad Beißel, bei der Suche nach größeren Räumen und der Aufstellung von Sanitäranlagen behilflich zu sein. Micha Schulze

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