piwik no script img

Von Leserin zu Leser

■ betr.: "Das System: Der männliche Blick", taz vom 14.4.92

betr.: „Das System: Der männliche Blick“, Leserbrief von Alfred Wolff, taz vom 14.4.92

Selten habe ich mich über einen Leserbrief mehr gefreut. Ich kenne keine Zeitung, in der nicht zwischen (bei der taz wenigstens theoretisch vorhandenem) Anspruch der sogenannten „Frauenfreundlichkeit“ und realem Sprach-, Bild-, Inhaltsgebrauch Welten klaffen. Allerdings fand ich es spontan schade, daß wieder ein Mann diese nur zu wahre Kritik an der scheinheiligen, voyeuristisch-geilen Aufmachung so mancher Berichte (auch) in der taz äußert und Frauen (ich auch!) resigniert darüber hinweggehen, sofern es uns überhaupt noch (oder schon) auffällt.

In psychologischen Tests identifizieren vergewaltigte Jungen sich mit Mädchenbildern, denn in unserer Gesellschaft gehört es sich, daß so etwas Mädchen widerfährt. Wie sollen die gesellschaftlichen Strukturen sich wandeln, weg vom Pariarchat, solange jedes dritte oder vierte Mädchen in seiner Kindheit die männliche Macht und Brutalität und die eigene Ohnmacht massiv am eigenen Leibe erfährt und in seinem Willen zerbrochen wird? Seit ich weiß, wie hoch der Prozentsatz sexuell mißbrauchter Mädchen ist, läuft in mir bei allen edlen Bekundungen von Politikern, Journalisten, Fotografen, Bildtextern, Kriminalbeamten, Sozialarbeitern, Männern eben, eine Art innerer Abzählreim ab, nach der schätzungsweise jeder vierte oder fünfte (oder siebte, darauf kommt's nicht so an) Mann sich an Mädchen, meist seinen Töchtern, vergriffen hat, vergreift oder vergreifen wird. Diese Mädchen können später auch als äußerlich emanzipierte Quotenfrauen Männern gegenüber nicht selbstbewußter und freier sein, als ihre prägende Grunderfahrung in der Kindheit es zuläßt.

Dieser Teufelskreis kann nur durch mühsame Bewußtseinsarbeit auf beiden Seiten durchbrochen werden. Das heißt, es muß darüber gesprochen werden. Dazu habt Ihr in der taz mit dem Abdruck des langen Wolff-Leserbriefs einen kleinen Anfang gemacht, immerhin. Dagmar Kreye, Bremen

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen