Streit um Bauruine in Lidice

■ Knapp 50 Jahre nach Nazi-Massaker: Neukonzeption ungewiß

Prag (epd) — Die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Nazi- Massakers an den Bewohnern des tschechischen Ortes Lidice wird in unmittelbarer Nachbarschaft einer Bauruine stattfinden müssen. Zwei Monate vor der Trauerfeier am 13.Juni verschandeln Bauzäune und ein halbfertiges Skelett von Eisenträgern das Gelände der weltbekannten Gedenkstätte, die alljährlich von 150.000 Menschen aus der ganzen Welt besucht wird. Die Arbeiten an der Erweiterung des bestehenden Mahnmals, die nach den Plänen des kommunistischen Regimes in Prag ein „Museum der Arbeiterbewegung“ aufnehmen sollte, waren wenige Monate nach der Wende in der Tschechoslowakei abgebrochen worden. Für eine Neukonzeption fehlt seither das Geld.

Als Vergeltung für das Attentat auf den „stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“, Reinhard Heydrich, ordneten die Nationalsozialisten die völlige Vernichtung des Bergarbeiter-Dorfes Lidice rund 20 Kilometer nordwestlich von Prag an. Am Morgen des 10. Juni 1942 wurden alle Männer der mittelböhmischen Ortschaft erschossen. Die Frauen und die meisten Kinder kamen in Konzentrationslager. Lediglich einige „rassisch geeignete“ Kinder wurden „zur Eindeutschung“ in deutsche Familien gegeben. Alle Gebäude des zuvor 483 Einwohner zählenden Dorfes wurden dem Erdboden gleichgemacht. Das Gelände, auf dem das vernichtete Dorf stand, wurde 1947 als Gedenkstätte hergerichtet.

Mit dem Anbau wurde 1987 begonnen. Nach den Plänen der realsozialistischen Machthaber sollte die Weihestätte der Arbeiterbewegung rund 80 Millionen Kronen (zum heutigem Kurs knapp fünf Millionen Mark) kosten. Im Frühjahr 1990 wurden die Bauarbeiten auf dem 3.000 Quadratmeter großen Grundstück eingestellt. Bis dahin waren bereits 50 Millionen Kronen verbaut.

An Ideen für eine Nutzung des unvollendeten Neubaus mangelte es seither nicht. Undurchsichtig blieb jedoch der bürokratische Kompetenzwirrwarr. Zwar gehört das Grundstück der Gemeinde, die Verwaltung der Gedenkstätte obliegt aber dem Denkmalsamt und dem tschechischen Kultusministerium. Somit ist die Regierung der Teilrepublik für Konzeption und Finanzierung der Gedenkstätte verantwortlich. Zunächst bemühte sich die Gemeinde Lidice, die Nutzungsrechte für den begonnenen Bau zu erhalten. Das tschechische Kultusministerium stellte hingegen im Dezember vergangenen Jahres den Antrag, die Bauruine abzureißen. Dies wiederum genehmigte die tschechische Regierung nicht. Gleichzeitig wurde vor knapp einem Jahr eine ökumenische Stiftung gegründet, die den Ort Lidice zu einem internationalen Treffpunkt machen will und die Einrichtung einer Begegnungsstätte für Behinderte und Senioren auf dem umstrittenen Baugelände anregt. Dieser Idee schloß sich inzwischen auch die Gemeinde Lidice an.

Inzwischen unterstützt auch der tschechische Vizepremier Jan Strasky den Vorschlag. Bis Ende April will er dem Kabinett einen Vorschlag über die Konzeption der geplanten Begegnungsstätte unterbreiten. Woher allerdings die benötigten 15 Millionen Kronen kommen sollen, kann er nicht sagen. Alle Beteiligten suchen nun Geldgeber und Spender für das Projekt. Eva Glauber