DEBATTE
: „Politisch korrekte“ Ökologen

■ Ökologie und Bevölkerungswachstum gehören zusammen — letzteres Thema wird jedoch auf dem Umweltgipfel in Rio ausgeklammert

So wie die Dinge jetzt liegen, wird der Umweltgipfel in Brasilien das zentrale Thema, das die Langzeitperspektiven des Planeten bestimmt, ignorieren. Das Kernthema — wie viele Menschen kann der Planet realistischerweise aushalten? — wird verschwiegen werden.

In einem Jahrhundert wird die Weltbevölkerung zwischen neun und 14 Milliarden Menschen betragen — zwischen zwei- und dreimal soviel wie die heutigen 5,4 Milliarden. Diese Fünf-Milliarden-Differenz, das ist nahezu sicher, macht den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern aus, wenn es darum geht, die Mehrheit der Menschheit mit einem anständigen Lebensstandard in einiger Harmonie mit der Natur zu versorgen — auch wenn in einem Kraftakt alles getan wird, um weniger schmutzige Technologien, weniger umweltschädliches Wirtschaftswachstum, ein Zusammenwachsen von Süd und Nord und bessere Zusammenarbeit in der Pflege des gemeinsamen Lebenselixiers Luft und Wasser zu erreichen.

Die G-77-Gruppe unterentwickelter Länder hat vom Anbeginn der Vorbereitungen zum UN-Gipfel versucht, die Aufmerksamkeit davon abzulenken. Als das wichtigste Thema sehen sie die Verantwortung der Industriestaaten für die Umweltprobleme des Planeten an. So hartnäckig verteilten sie Schuldsprechungen und damit finanzielle Verantwortung, daß selbst Staaten mit einer starken Politik der Bevölkerungskontrolle den Sinn solcher Politik in Genf und New York verneinten.

Doch langsam schälte sich ein brüchiger Konsens heraus. Die Anzahl der Menschen, das Ausmaß ihres Konsums und die Umweltfolgeschäden dieses Konsums sind gleichermaßen Faktoren bei der Belastung der Umwelt. Der Durchschnittsamerikaner, -europäer oder -japaner konsumiert viel mehr und produziert viel mehr Müll und Umweltverschmutzung als der Durchschnittseinwohner eines Entwicklungslandes. Umweltschutz bedarf daher sowohl der Bevölkerungskontrolle wie auch einer Regulierung der Überkonsumption.

Letzterer Begriff wurde nie klar definiert. Einigen bedeutet er bloß den gutmütigen und selbstverständlich wünschenswerten Versuch, saubere Technologien zu entwickeln und die wirtschaftliche Kluft zwischen Nord und Süd zu verringern, indem neue Märkte und allgemeines Wirtschaftswachstum geschaffen werden. Anderen, so etwa der Bush- Regierung, ist die Überlegung, den Lebensstandard des Nordens möglicherweise einschränken zu müssen, schlicht unakzeptabel.

Als in der letzten Verhandlungsrunde die USA alle Hinweise auf den Konsum des Nordens aus dem Schlußpapier strichen, entfernte die G-77-Gruppe entsprechend Hinweise auf die Notwendigkeit einer Verlangsamung des Bevölkerungswachstums. Das öffnete dem Vatikan den Weg zu einer außerordentlich aggressiven und effektiven Lobbytätigkeit. Das Schicksal der Bevölkerungssprache wurde ironischerweise von Frauenvertreterinnen besiegelt. Feministische Gesundheitsorganisationen zusammen mit einigen Frauengruppen aus Entwicklungsländern und Vertreterinnen von Minderheiten in den USA stellen sich schon seit langem gegen jegliche Geburtenkontrolle. Sie sind der Meinung, damit würde die Gesundheit von Frauen gefährdet; außerdem sei das versteckter Völkermord, und sie laste alle Verantwortung den Frauen an (nur sie produzieren Babys), die statt dessen als Opfer einer männerdomininierten Gesellschaft angesehen werden müßten. Obwohl diese kleine, aber lautstarke Gruppe glaubt, daß Armut und Machtlosigkeit von Frauen direkt zu unkontrollierter Fruchtbarkeit führen und daß Armut und Umweltzerstörung zusammen auftreten und gehören, führt bloße Ideologie dazu, daß sie etwas verneint, von dessen Wahrheit sie weiß.

„Wir wissen, daß der Hauptgrund für Umweltzerstörung in Wirtschaftssystemen zu finden ist, die Natur und Menschen ausbeuten und mißbrauchen“, heißt es in ihrem Positionspapier für die UN-Versammlung. „Wir wenden uns gegen die Behauptung, daß die Fruchtbarkeitsrate von Frauen (euphemistisch Bevölkerungsdruck genannt) daran schuld sei.“ Diese Frauen beharren darauf, daß politisch richtigliegende Umweltschützer von Gesundheit, Bildung und breiteren Entwicklungsthemen reden müssen — aber nicht von Familienplanung.

Fortwährende Vernachlässigung von Familienplanung führt ungewollt, aber unvermeidlich dazu, daß eigentlich wohlwollende Regierungen dazu ermuntert werden, das Thema ganz zu umgehen. Der Rio- Gipfel ist aber nicht das Ende vom Lied. Doch das Scheitern von Regierungen — leider besonders der US- Regierung — das Kernthema, wie viele Menschen mit welchem Konsumptionsniveau verträglich sind, muß als kostspielige Niederlage verbucht werden, die dringend notwendiges Handeln verzögert.

Weniger verständlich ist die völlig unnötige Spaltung, die zwischen Umweltschützern und Frauengruppen betrieben wird. Natürlich ist Bevölkerung mit der Zukunft des Planeten verbunden. Es gibt keine magische Anzahl von Menschen, die der Planet aushalten kann. Das wird von unserem Gesamtwohlstand, unserer Weisheit und unserem Ausmaß an sozialer Gerechtigkeit abhängen. Aber es gibt Grenzen — Grenzen des Kapitals und der Technologie wie auch der Natur —, und an vielen Orten werden diese Grenzen durch die gegenwärtigen Bevölkerungswachstumsraten auf die Probe gestellt.

Die kurzfristigen Prioritäten von Frauen und Umweltschützern sind unterschiedlich, aber ihre langfristigen Interessen sind die gleichen. Beide haben dringende Gründe, dasselbe Ziel zu verfolgen: daß jede Frau, die die Anzahl ihrer Kinder begrenzen möchte, sichere und bezahlbare Mittel zur Verfügung hat. Jessica Mathews

Die Autorin ist Vizepräsidentin des „World Resources Institute“ in Washington. Aus: 'Washington Post‘, 13. April

Siehe auch taz vom 10.4., Seite 11, wo die Inderin Shalini Randeria sich gegen jegliche Bevölkerungspolitik besonders von seiten des Nordens wendet und mit einem divergierenden Kulturbegriff argumentiert: „Es gibt keinen Common sense.“