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Legenden um den Anschlag von Lockerbie

Über drei Jahre nach dem Absturz des Pan-Am-Jumbos tauchen immer neue Gerüchte auf/ Während der CIA zwei Libyer für die Attentäter hält, verdächtigt das US-Magazin 'Time‘ einen syrischen Drogenhändler/ Ein Privatdetektiv beschuldigt gar den CIA  ■ Aus Kairo Laila Burhani

Weder Gaddafi noch die beiden von den USA beschuldigten Libyer Megrahi und Fahima sollen die Drahtzieher des Anschlags auf den Pan-Am- Jumbo über Lockerbie sein, sondern ein international operierender, syrischer Rauschgifthändler namens Mundhir Kassar. Das berichtet das US-amerikanische Magazin 'Time‘ unter Berufung auf einen FBI-Untersuchungsbericht in seiner jüngsten Ausgabe. An Bord des Fluges 103 vom 21. Dezember 1988 befanden sich demnach sechs CIA-Agenten, die im Libanon nicht nur nach dem Verbleib der US-Geiseln forschten, sondern auch Informationen über internationale Rauschgifthändler sammelten. Es sei nicht auszuschließen, daß Mundhir Kassar die Bombe persönlich in der Maschine plaziert habe, behauptet 'Time‘.

Geholfen hätte dabei die von Ahmad Dschibril geführte und von Syrien unterstützte „Volksfront zur Befreiung Palästinas — Generalkommando“ (PFLP-CG). Ahmed Dschibril sei vom Iran beauftragt gewesen, den Abschuß eines iranischen Zivilflugzeuges durch die US- Marine über dem Persischen Golf am 3. Juli 1988 zu rächen. Dschibril hätte Kassar bei diesem Auftrag um Hilfe gerufen. An der Stichhaltigkeit der amerikanischen Anschuldigungen gegen Tripolis wurden schon von vielen Seiten Zweifel geäußert. Arabische UN-Diplomaten würden hinter vorgehaltener Hand munkeln, daß die Dokumente, die die USA im UN-Sicherheitsrat vorgelegt hätten, auf wackligen Füßen ständen, schrieb der ägyptische Journalist Mustapha Bakri am 21. Januar in der Zeitung 'Misr Al-Fatah‘.

Die Anschuldigungen gegen die zwei libyschen Geheimdienstler stützen sich im wesentlichen auf zwei CIA-Angaben: Bei dem Anschlag seien elektronische Zeitzünder benutzt worden, die Fahimi und Megrahi 1985 bei der Züricher Firma Mebo AG 1985 gekauft hätten. Zweitens hätten sich in dem Bombenkoffer Kleider befunden, die die beiden Libyer in Malta gekauft hätten. Die Tasche sei als Gepäckstück nicht auf dem Frankfurter Rhein- Main-Flughafen, sondern schon vorher in Malta mit dem Flug 180 KM der maltesischen Luftfahrtgesellschaft aufgegeben worden. Sowohl das maltesische Außenministerium als auch die Fluggesellschaft des Inselstaates bestreiten das aber.

Laut Bakri wird die These, daß Kassar etwas mit dem Anschlag zu tun hat, von einem internen Bericht Scotland Yards erhärtet. Die britische Polizei soll demnach einen internationalen Terroristenring für den Anschlag von Lockerbie verantwortlich machen. Motiv für die Drogenhändler, die amerikanische Zivilmaschine in die Luft zu jagen, sei Rache für die ihrer Meinung nach „ungerechte“ Antidrogenkampagne der USA in Lateinamerika und anderen Teilen der Welt. Diese Beschreibung paßt auf Kassar, der bei Interpol und internationalen Drogenfahndern kein Unbekannter ist. Kassar verfügt nicht nur über gute Kontakte zum Kokainkartell von Medellin, zur italienischen Mafia und Camorra, zu PLO-Splittergruppen und dem syrischen Präsidenten Hafis el-Assad, sondern auch zu VIPs aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben in den meisten westeuropäischen Ländern.

In einem internen Untersuchungsbericht der Fluggesellschaft PanAm, der dem Pariser Büro der renommierten arabischen Zeitung 'Al Hayat‘ zugespielt wurde, wird ebenfalls vermutet, die Bombe sei von einem internationalen Drogenring auf dem Frankfurter Flughafen an Bord der Pan-Am-Maschine geschmuggelt worden. Der Name Kassars taucht in dem Bericht allerdings nicht auf. PanAm hatte sich mehrfach über die schleppenden Ermittlungen der US-Aufklärungsbehörden in der Lockerbie-Affäre beschwert und schließlich selber das amerikanische Detektivunternehmen Aviv damit beauftragt. Familienangehörige der Opfer haben der Fluggesellschaft mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vorgeworfen und Entschädigungsforderungen im Umfang von 14 Milliarden Dollar gestellt. Im April letzten Jahres erstattete der Pan-Am-Anwalt James M. Chonsey Anzeige gegen die amerikanische Regierung. Der tödliche Koffer sei unter den Augen des CIA von einem internationalen Drogenring in dem Flugzeug deponiert worden. Die amerikanische Drogenbehörde DEA hätte dabei Amtshilfe geleistet, lautet Chonseys Anschuldigung. Der US-Geheimdienst habe mit dem Drogenring, der über beste Beziehungen im Libanon verfügt, zusammengearbeitet, da er sich von den Drogendealern Hilfe bei der Befreiung der US-Geiseln im Libanon erhoffte.

War die Katastrophe von Lockerbie also ein Berufsfehler? Hatten CIA und DEA in der falschen Annahme gehandelt, daß der Koffer „nur“ Heroin enthalte? PanAm meint nein. Die Fluggesellschaft will wissen, daß der CIA im Vorfeld von der geplanten Aktion gewußt hat, aber nichts unternahm, um die Katastrophe zu verhindern. Aber warum hat der CIA nichts unternommen, um das Unglück zu verhindern? In dem Aviv-Bericht wird die gewagte Vermutung aufgestellt, daß der Schlüssel zum Geheimnis genau bei diesen sechs CIA-Mitarbeitern liegt. Der CIA habe sich möglicherweise seiner eigenen Mitarbeiter entledigen wollen. Die Begründung für diese Behauptung bleibt der von 'Al-Hayat‘ dokumentierte Bericht allerdings schuldig. Sollte sich nun der Verdacht von 'Time‘ erhärten, daß sich hinter dem in den verschiedenen Berichten erwähnten Narcoterroristen tatsächlich Mundhir Kassar verbergen soll, mag hierin vielleicht einer der Schlüssel für eine Begründung liegen. Möglicherweise brachte das CIA-Team unter MacKey mehr in Erfahrung, als der Führung der Geheimdienstzentrale lieb war. Denn die Zusammenarbeit zwischen CIA und dem Kassar-Clan geht bis auf den Irangate-Skandal zurück. Nicht der Saudi Adnan Kashoggi, der das Iran-Contra-Geschäft damals in die Wege geleitet hatte, gilt als der große Gewinner aus dem amerikanisch-iranisch-israelisch-saudischen Contra-Geschäft, sondern Kassar. Kassar hatte damals im Auftrag des früheren US-Oberstleutnants Oliver North mehr als 300 Tonnen Waffen über die Flughäfen Prag und Warschau nach Mittelamerika geschafft. Was war der Preis, den die amerikanische Führung den Drogenschmugglern für die Hilfe bei Freilassung der im Libanon festgehaltenen US-Geiseln zu zahlen bereit war? Machte sie Versprechen, die möglicherweise im eklatanten Widerspruch zur erklärten Drogenpolitik standen? Fürchtete man in Washington eine Neuauflage des Iran- Contra-Skandals, nachdem sich die innenpolitischen Wogen in dieser Sache gerade geglättet hatten? — Einige dieser Fragen werden auch am 27. April in New York gestellt werden. Zeitgleich mit der Wiederaufnahme der Nahost-Friedensgespräche in Washington beginnt dort der von den Angehörigen der Lockerbie- Oopfer angestrengte Prozeß gegen PanAm.

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