piwik no script img

„In den Verträgen stand immer nur Folklore“

Im Essener Menschenhandelsprozeß bleiben viele Fragen offen/ Striptease galt als Folklore/ Die Angeklagten schweigen  ■ Aus Essen Dietmut Roether

„Wo liegt eigentlich Saipan?“ Diese Frage beschäftigt die vierte große Kammer des Essener Landgerichts am 13. Verhandlungstag gegen den Essener „Künstleragenten“ Kamper. Ob Saipan vielleicht ein anderes Wort für Japan sei, will einer der Verteidiger wissen. Nein, beharrt die Zeugin, Saipan ist Saipan. Der Staatsanwalt verspricht, Saipan im Atlas ausfindig zu machen, und das Gericht wendet sich anderen Unklarheiten zu. Zum Beispiel der Sache mit dem „Sexy dance“. Lernten die Filipinas diesen Tanz bereits in Manila oder erst in Deutschland, tanzten sie in ihren Tanzschulen bekleidet oder „topless“? Und was ist im philippinischen Sprachgebrauch ein Tanga? Während sich die Kammer in Saal 290 mit den möglichen Varianten des „Sexy dance“ beschäftigt, protestieren streitbare Katholikinnen vor dem Essener Landgericht gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.

Die Angeklagten, die des Menschenhandels beschuldigt werden, verfolgen das Geschehen im Gerichtssaal interessiert, doch ohne erkennbare Gefühlsregungen. Nur einmal legt Reinhold Kamper seine kühle Kaufmannsattitüde ab. „Sie lügen“, wirft er einer Zeugin vor. Dafür wird er vom Gericht prompt getadelt. Gewissenhaft wie ein Buchhalter notiert er seither schweigend die Aussagen der Zeuginnen. Gelegentlich berät er sich mit seinen Anwälten. Ganz selten stellt er selbst eine Frage. Die Zypriotin Kallesteni Ionanu, die die Filipinas an Kamper vermittelt haben soll, wirkt bleich und gefaßt. Zuweilen diskutiert sie mit ihrem Dolmetscher und macht sich ebenfalls Notizen. Wie der Angeklagte Reinhold Kamper sitzt sie seit zwei Jahren in Untersuchungshaft. Im Essener Menschenhandelsprozeß scheint die Wahrheitsfindung an Kommunikationsproblemen zu scheitern. „Ich frage jetzt nicht mehr weiter, weil ich da wohl eh nicht weiterkomme“, resigniert schließlich sogar einer der Verteidiger, sonst nicht eben zimperlich, wenn es um die Befragung der Zeuginnen geht. Zwei Dolmetscherinnen hat die Verteidigung bereits wegen Befangenheit abgelehnt. Kommt diese Ablehnung durch, müssen alle Aussagen wiederholt werden. Die Erzählungen der Filipinas bleiben sehr verhalten. Offensichtlich wird, daß sie sich in der Regel sehr geschämt haben, Striptease zu tanzen. Warum sie es trotzdem getan haben, obwohl es nicht im Vertrag stand, will die Richterin von einer Zeugin wissen. „Es wurde angeordnet, ich mußte diese Tänze machen“, lautet die Antwort. Und die Zeugin ergänzt: „In allen Verträgen stand immer Folklore. Ich habe gedacht, das wäre dasselbe.“ Warum sie sich nicht an die Polizei gewandt hätten, fragt die Verteidigung eine andere Zeugin. Diese antwortet mit Gegenfragen: „Was hätten wir der Polizei sagen sollen? Was wäre passiert, wenn wir auf die Philippinen zurückgekehrt wären? Wir hatten wenig Geld und Schulden. Wir wollten doch unseren Familien helfen.“

Zum Ende des mehrmonatigen Prozesses werden Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hoffentlich gelernt haben, daß Saipan zum mikronesischen Inselreich gehört. Wahrscheinlich wird auch die Frage geklärt sein, ob ein „Tanga“ hinten geschlossen ist. Kaum jemand von der hohen Gerichtsbarkeit wird sich allerdings einen Begriff davon gemacht haben, was es für eine Frau bedeutet, unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein fremdes Land verschleppt zu werden. Kaum jemand wird sich Gedanken darüber machen, welchen Erniedrigungen die Filipinas in der Zwangsprostitution ausgesetzt waren. Denn darum geht es in diesem Prozeß ja nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen