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Kontroverse über Karenztage

■ Arbeitnehmer kündigen erbitterten Widerstand an/ Streit über Karenztage spaltet die Union

Bonn (dpa/ap/taz) — Bonner Politiker streiten heftig über Pläne, die Lohn- und Gehaltsfortzahlung in den ersten drei Krankheitstagen auszusetzen. Der Kanzler aber soll dazu bisher geschwiegen haben: „Es gibt keine Äußerung des Kanzlers zu Karenztagen“, hieß es am Dienstag in der Umgebung Kohls.

Am Wochenende hatten sich mehrere Politiker von CDU/CSU und FDP dafür ausgesprochen, die Arbeitgeberkosten für eine Pflegesozialversicherung durch Einsparungen bei der Lohn- und Gehaltsfortzahlung für die ersten drei Krankheitstage zu kompensieren.

Scharf kritisieren SPD, Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände die Pläne zur Wiedereinführung der sogenannten Karenztage. Aber auch innerhalb CDU scheiden sich an diesem Thema die Geister. Der Vorsitzende der Sozialausschüsse, Ulf Fink, sagte, man dürfe nicht die wirklich Kranken bestrafen, weil einige die Lohnfortzahlung „zum Schwänzen ausnutzen“. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Heiner Geißler erteilte den Überlegungen eine Absage, „solange nicht die Pflegeversicherung von der Koalition verabschiedet wird“. Der Chef des CDU-Wirtschaftsrates, Dieter Murmann, erklärte im Magazin 'Capital‘, „die meisten verdienen heute so gut, daß ein Abschlag wenigstens am ersten, zweiten oder dritten Krankheitstag zumutbar ist“.

SPD-Bundesgeschäftsführer Karl-Heinz Blessing sprach von einer „Perversion des Sozialstaatsgedankens“, wenn Kranke für die Finanzierung der Pflegeversicherung aufkommen sollten. Massiven Widerstand und „flächendeckende Streiks“ kündigten die Gewerkschaften für den Fall an, daß die Pläne verwirklicht würden. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kiefer betonte: „Das Infame an der Sache ist, daß die Pflegeversicherung, die die Gewerkschaften für richtig erachten, damit verknüpft werden soll.“ Bundesvorstandsmitglied der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), Lutz Freitag: „Wer an der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall Abstriche vornehmen will, provoziert damit eine Verfassungsklage.“ Denn für mehr als 80 Prozent der Arbeitnehmer sei die Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall durch Tarifverträge abgesichert. Dies gilt auch für die Metallindustrie. Als „Anschlag gegen jegliches Gerechtigkeitsempfinden“ bezeichnete der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmerschaft (CDA) und Bundestagsabgeordnete Walter Link die Pläne, die Pflegeversicherung über Einsparungen durch unbezahlte Krankheitstage zu finanzieren. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bezeichnete die Wiedereinführung von Karenztagen als „Schritt in die richtige Richtung“.

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