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Das Filetstück der Witwe

■ Über Vadim Glownas „Der Brocken“

Wenn der Makler dreimal klingelt, ist bestimmt etwas faul. Das ahnt auch die Witwe Ada Venske, als der hartnäckige Immobilienhai Zwirner wiederholt bei ihr auftaucht, um ihr das schöne Häuschen an der Steilküste Rügens abzuschwatzen. Zwirner trägt Sonnenbrille und hat jenen verschlagenen Blick, den Rolf Zacher in seinem engen Repertoire an Gesichtsausdrücken als einzigen wirklich gut beherrscht. Deshalb ist er von vorneherein verdächtig. Eine deutsche Komödie, die wieder mal die Komik im allzu Offensichtlichen sucht. Damit erst gar keine Zweifel aufkommen, eventuell gar falsche Vermutungen, die den Zuschauer in die Irre führen könnten, enttarnt Regisseur Vadim Glowna den Spekulanten gleich selbst: Zwirner arbeitet für den MAD, denn das Filetstück der Witwe liegt direkt neben einem ehemaligen Truppenübungsplatz der NVA, der jetzt für die kommenden Zeiten der Entspannung nach den Vorstellungen der Bundeswehr ausgebaut werden soll.

Auch sonst sind allerlei Wessis um die alleinstehende Frau bemüht, weil sie sich ausrechnen, durch Versprechungen, Tricks oder Drohungen an das idyllisch gelegene Objekt zu kommen. Da Ada Venske jedoch pfiffig genug ist, um die windigen Vorschläge der Brüder und Schwestern aus dem Westen zu durchschauen, dreht sie den Spieß einfach um. Sie produziert mit einer Schar rüstiger Rentner Wolle, Ölbilder und Marmelade und verkauft die Waren an Wessi-Touristen, die schon alles haben, nur noch keinen Pullover mit dem Gütesiegel „echt selbstgestrickt“ von der Insel Rügen.

Vadim Glowna hat ein großes Herz, fast noch größer als das der Witwe Ada Venske. Deshalb will er niemandem weh tun und teilt brav nach allen Seiten aus. Komik nach Quote. Ein Kalauer über die Ossis, einer über die Wessis. Alles schön harmlos und manchmal richtig sentimental. Da läßt sich die Stasi-Vergangenheit des Dorfspitzels nach ein paar warmen Worten der Witwe Venske ein für allemal mit einem Feuerchen im Garten entsorgen. Schließlich geht es ja um mehr. Das Aufbauwerk neues Deutschland braucht die gemeinsame Anstrengung aller Deutschen. Die Idealheldin in diesem Szenario des guten Willens: Ada Venske. Sie werkelt nach der Maxime „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“ an der Steigerung des Bruttosozialprodukts. Und in diesem Sinne hat Vadim Glownas aufmunternder Beitrag einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert — als Frontkino in der Schlacht um ein zweites Wirtschaftswunder. Christof Boy

Vadim Glowna: Der Brocken. Mit Else Grube-Deister, Rolf Zacher u.a. BRD 1991, 97 Minuten.

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